: Zur Hälfte schottenwürdig
Nach zwei sehr unterschiedlichen Halbzeiten beim 4:1 gegen Kanada im Testspiel für die EM-Qualifikation gegen Schottland und die Färöer Inseln ringt sich Teamchef Völler ein positives Fazit ab
aus Wolfsburg MATTI LIESKE
Neuerdings beschäftigt der DFB einen Stadionanimateur, der das Publikum bei Laune halten soll. Er redet das Spiel schöner, als es jeder Privatfernsehreporter wagen würde, animiert die Fans zur Welle und versucht vor allem, die Leute von jenen Missfallenskundgebungen abzuhalten, die bei Spielen der Nationalmannschaft leicht ausbrechen. In der ersten Halbzeit des mit 4:1 gewonnenen Testspiels gegen Kanada war seine Kunst umsonst. Deutliches Murren, wenn wieder ein Querpass zum Gegner oder ins Aus gespielt wurde, Pfeifkonzerte, wenn der arme Carsten Ramelow den Ball bekam.
Dabei mühte sich das personifizierte Leverkusener Abstiegsgespenst der letzten Saisonwochen redlich, den jüngsten Lobeshymnen von Rudi Völler gerecht zu werden. Der Teamchef hatte Ramelow und Schneider nach Mario Baslers Schmähungen („Langweiler“) in Schutz genommen. Die würden sich „immer den Hintern aufreißen“. Also rannte und rackerte Ramelow hinternerweichend drauflos, der Ball gehorchte ihm jedoch dabei nicht wie gewünscht. In der Defensive ließ ihn der trickreiche Hannoveraner Guzman gern um die eigene Achse kreiseln, und auch der Freistoß, der zu Kanadas 1:0 führte, ging auf seine Kappe. Hätte Ramelow nicht kurz vor der Halbzeit mit einem brachialen Volleyschuss, in dem der ganze Frust des Buhmanns lag, zum 1:1 getroffen, es wäre ein weiterer jener schwarzen Tage geworden, von denen der Bayer-Spieler in dieser Saison so viele erleben musste.
Dass am Ende doch alles von einem hervorragenden Testspiel sprach, nach dem man mit „Selbstvertrauen“ (Paul Freier) zu den EM-Qualifikationsspielen nach Schottland und Färöer reisen könne, lag an der zweiten Halbzeit. Carsten Ramelow spielte da nicht mehr mit. Rudi Völler hatte die Konsequenz aus der verkorksten Darbietung des Teams gezogen, die Stürmer Fredi Bobic später als „planlos und behäbig“ bezeichnete. Natürlich war das nicht Ramelows Schuld gewesen. Er war bloß derjenige, der sich in einem statischen, bewegungsarmen System plötzlich in einer Rolle wiedergefunden hatte, die ihm gar nicht liegt: der des kreativen Spielgestalters. Weil Bernd Schneider weit vorn postiert war, hinten eine gegen die vorsichtigen Kanadier mit vier Leuten viel zu üppig bestückte Viererkette stand, die jungen Spieler mehr mit sich selbst als dem Gegner kämpften und Michael Ballack noch pokalfrei hatte, war der Ball immer wieder zu Ramelow gewandert. Eine glatte Überforderung.
Die taktischen Korrekturen zeigten sofort Wirkung. Schneider lebte in seiner bevorzugten Rolle hinter den Spitzen auf, hinten verteidigten nur noch drei Leute, dafür kamen mit Hinkel, Neuville und Freier Spieler, die auch mal mit Alleingängen eine Abwehr aushebeln können. Bis dahin waren die Kanadier mit dem Einzigen, was sie konnten – hinten kompakt stehen – sehr gut gefahren. In den Eins-gegen-eins-Duellen zogen sie jedoch meist den Kürzeren, was viele Torchancen brachte, die gelegentlich sogar genutzt wurden. „Wir haben das Tempo hoch gehalten“, lobte Bobic das variable Spiel nach der Pause, „das haben wir zuletzt gegen vermeintlich kleinere Mannschaften nicht gemacht.“ Jetzt waren auch die 23.000 Zuschauer in Wolfsburg glücklich. Keine Pfiffe mehr, statt dessen absolvierten sie brav die verordnete Ola.
Die Frage ist, ob man von einer gelungenen Halbzeit auf ein gelungenes Testspiel schließen darf. Rudi Völler fand das durchaus. Es sei wichtig gewesen, Spielpraxis zu bekommen, die jungen Leute hätten sich präsentieren können. Ohne Zweifel ist es für Akteure wie Tobias Rau oder Andreas Hinkel mal ganz angenehm, in der Nationalmannschaft zu spielen, ohne dass ihnen gleich ein Raúl die Hacken zeigt, auf der anderen Seite waren die Kanadier zu schwach, um als echter Prüfstein zu taugen – selbst für Färöer. Was Holger Osieck,der Coach der aus aller Welt zusammengesuchten Nordamerikaner, der sein Team geradezu genussvoll schlechtredet („Sie ahnen ja nicht, was in Kanada los ist?“), gern zugab.
Umso bedenklicher ein weiterer Umstand, der in der ersten Halbzeit auffiel: die Verwundbarkeit der zentralen Abwehr durch einfachste Mittel – weite Bälle, Flanken. Auch die Schotten spielen gern so, weshalb Rudi Völler richtig froh war über das Gegentor, bei dem der lange Ex-Cottbuser McKenna den Bremer Frank Baumann übersprang. „Diese Robustheit“, schwärmte der Teamchef, „ein Stürmer, der den Ball unbedingt will und ihn auch bekommt – gut, dass sie das gesehen haben.“
Und Berti? Der saß auf der Tribüne und dachte sich seinen Teil. Ob das 4:1 dem spionierenden Schotten-Coach wohl zusätzlichen Respekt eingeflößt habe, wurde Völler gefragt. Ehrliche Antwort: „Sicher nicht!“
Deutschland: Rost (46. Butt) - Friedrich (46. Hinkel), Wörns), Baumann (59. Rehmer), Rau - Ramelow (46. Freier), Kehl - Schneider (75. Hartmann), Frings - Bobic (69. Kuranyi), Lauth (46. Neuville) Kanada: Onstad - Nsaliwa (82. Fletcher), Fenwick, Pizzolitto, Hastings - Nash (77. Canizalez), Imhof, Dasovic, De Guzman - McKenna, StalteriZuschauer: 23.000; Tore: 0:1 McKenna (20.), 1:1 Ramelow (41.), 2:1 Freier (53.), 3:1 Bobic (61.), 4:1 Rau (90.)
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