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Erst denken, dann handeln

Teamentwicklung unter Tage oder im Freien: Anders als in herkömmlichen Seminaren schaffen erlebnispädagogische Aktivitäten Situationen, in denen sich die Teilnehmer authentisch verhalten

VON VOLKER ENGELS

Sie hangeln sich in luftiger Höhe auf dünnen Seilen von Baum zu Baum, gehen mit wenig Essen tagelang in die Wüste oder bauen wie vor Urzeiten unsere affenähnlichen Vorfahren Hütten aus Lehm, um gemeinsam mit Kollegen oder Mitarbeitern für einige Tage Schutz vor Wind und Wetter zu finden. Immer häufiger suchen Manager oder Teams die Unterstützung in so genannten Outdoor-Seminaren, um die Leistungsfähigkeit zu verbessern. Das Schlagwort „Teamentwicklung“ lockt jedoch nicht nur gestresste Manager an. Auch an Lehrer, Sozialarbeiter oder Psychotherapeuten richtet sich das Seminarangebot.

Mitten im Ruhrgebiet findet im Mai das erste Teamentwicklungsseminar unter Tage statt. Wo früher Bergleute Kohle scheffelten, bietet heute das Böblinger HR-Team Unterstützung bei der Teambildung an. Die Aufgabe für die Seminarteilnehmer: In einer achtstündigen Schicht unter Tage sollen „komplexe und ganzheitliche bergmännische Aufgaben“ bewältigt werden, erläutert Trainer Ulrich Drax, der selbst aus einer Bergarbeiterfamilie stammt, das Seminarkonzept.

Hinter dieser abstrakten Formulierung steckt ein konkreter Arbeitsauftrag: Maximal zehn Teilnehmer, die im richtigen Leben als Manager oder Teamleiter arbeiten, bauen innerhalb von acht Stunden unter Tage einen Stollen aus. Sie planen den Ausbau des Schachts, diskutieren über die personellen Ressourcen, vermessen und passen schließlich Stahlträger in die Stollen ein. Der studierte Geisteswissenschaftler, der seit rund zehn Jahren als Outdoor-Trainer arbeitet, nimmt als Beobachter mit einer Videokamera teil.

Aus einer solchen Situation lassen sich Rückschlüsse ziehen, wie das Team in realen Arbeitssituationen miteinander umgeht: „Es lässt sich schnell analysieren, wer über Spezialkenntnisse, Planungs- oder Führungsqualitäten verfügt.“ Für eine gelungene Teamarbeit gelte die Faustregel: „Handle, nachdem du gedacht hast“ sowie „Setze Teammitglieder nach ihrer Stärke ein“, so Drax. Übertragen auf das Seminar bedeute dies, dass es „wenig Sinn“ mache, dass der Schwächste den Stahlträger schleppt oder der Muskelmann mit feiner Feder den Plan zeichnet.

Das Seminar wird nach Schichtende über Tage ausgewertet: So werden etwa Konflikte, aber auch Stärken des Teams, die sich im Stollen gezeigt haben, analysiert. Manche Teams müssten zum Beispiel lernen, „dass man Widersprüche und Konflikte nicht immer auflösen, sondern manchmal auch ertragen muss“, weiß der 42-Jährige.

Weiter im Süden der Republik ist die Zentrale von „Earthwind“ zu Hause. Die Unternehmensberatungsfirma bietet ein breites Sortiment an Outdoor-Seminaren an: Vom Turmbau über Orientierungsläufe bis zu Flussüberquerungen oder profanen Wandertouren reicht das Seminarangebot. „Eine andere Umgebung als ein Seminarraum schafft eine Atmosphäre, die neue Blickwinkel auf Probleme und Lösungen ermöglicht“, sagt Darrel Combs, Geschäftsführer der Beratungsfirma.

In den Veranstaltungen gehe es nicht darum, theoretisches Wissen anzuhäufen, sondern auf einer „emotionalen Ebene“ zu lernen“, so der gebbürtige US-Amerikaner. Auch Monate nach einem Kletterseminar bleibe zum Beispiel die Erfahrung haften: „Ich habe erstmals Vertrauen zu meinem Kollegen gespürt, als wir beim Klettern in den Bergen waren“, schildert Combs die Rückmeldung von Teilnehmern. Gerade für Teams, die sich neu formierten, seien solche Erfahrungen, die sich „sehr schnell und einfach in den Alltag transferieren ließen, wichtig. Anders als in einfachen Rollenspielen, die in traditionellen Seminaren angewandt werden, würden erlebnispädagogische Seminare Situationen schaffen, in denen die Teilnehmer „authentisch“ handeln: „Jetzt verhält sich der Kollege genauso wie im Büro“ sei eine klassische Reaktion.

Gerade für interkulturelle und länderübergreifend arbeitende Projektteams, die „schnell und effektiv zusammenfinden müssen“, seien erlebnispädagogisch orientierte Seminare hilfreich. Denn viel Zeit und Kraft gehe durch „kleine Missverständnisse“ zwischen den Kulturen verloren, hat der 32-jährige Psychologe beobachtet. So platze manche Verabredung zwischen Teammitgliedern schon deshalb, weil es unterschiedliche Zeitkulturen gebe: „Ein Deutscher kommt zu einer Besprechung, die um 13 Uhr beginnen soll, eher fünf Minuten früher, für einen Spanier ist auch Viertel nach noch pünktlich.“

Das Angebot von „Earthwind“ richtet sich nicht alleine an Manager oder Wirtschaftsteams, sondern auch heilpädagogische Heime und Schulen sowie Erzieherrinnen oder Sozialarbeiter.

Wem eine Flussüberquerung oder ein Turmbau zu profan ist, kann auch an einem der zahlreichen Naturseminare von „Earthwind“ teilnehmen. In Deutschland, Irland oder auf Mallorca werden indianische Techniken des Sehens, der Intuition oder des Fährtenlesens vermittelt. Diese Seminare leitet der Institutschef selbst. Denn außer einem Psychologiestudium hat Darrel Combs in Nordamerika eine siebenjährige Ausbildung bei Creek- und Cherokee-Medizinmännern absolviert.

Infos: www.hrteam.de und www.earthwinds.net

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