: Ruhrgebiet wird zur Ostzone
Das Landesamt für Statistik prophezeit dem Ruhrgebiet eine einsame Zukunft: Jeder zehnte Bürger wandert bis zum Jahr 2020 ab. Eine kürzlich vorgestellte Studie des KVR kam zu anderen Ergebnissen
VON ANNIKA JOERES
Dem Ruhrgebiet steht eine Zukunft wie ostdeutschen Städten bevor. Eine neue Bevölkerungsprognose des nordrhein-westfälischen Landesamtes für Statistik prophezeit dem Pott und angrenzenden Regionen einen Einwohnerverlust von rund 10 Prozent bis zum Jahr 2020.
Einzelne Städte sind von dieser Entwicklung noch härter betroffen: Hagen soll 16,3 Prozent seiner EinwohnerInnen verlieren, Wuppertal müsse mit 14,3 Prozent rechnen. Krefeld schrumpfe um 11,4 Prozent, Essen um 10,8 Prozent und Duisburg um 10,2 Prozent. Auch die Landeshauptstadt Düsseldorf müsse sich auf einen Einwohnerrückgang von 5,3 Prozent einstellen, so die Prognose des Landesamtes.
NRW-Bauminister Michael Vesper (Grüne) nannte die demographische Entwicklung eine „Zeitbombe“. In den betroffenen Stadtvierteln drohe ein „räumlicher Entmischungsprozess“ zwischen „arm und reich, mobil und immobil sowie deutsch und nicht-deutsch“. Vesper sorgt sich um die Kaufleute in den schrumpfenden Städten. Wirtschaftlich seien schon jetzt dramatische Folgen zu beobachten: „Die Städte kämpfen nicht nur in den Randlagen, sondern auch in den 1A-Lagen mit Leerständen, zum Teil von bis zu 30 Prozent.“ Die Existenz von Nebenzentren in den Großstädten sei schon jetzt bedroht.
Die neue Prognose widerspricht einer vom Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) in Auftrag gegebene Studie, die Anfang März vorgestellt wurde. Hans Blotevogel, Geographie-Professor an der Universität Duisburg-Essen, sagte damals, die massive Abwanderung aus den Kernstädten des Reviers sei seit dem Ende der 1990er Jahre abgebremst.
Blotevogel machte zwei Entwicklungen für die nachlassende Ruhrgebietsflucht verantwortlich: Bauland ist in Wesel oder Recklinghausen mittlerweile genauso teuer wie in Dortmund oder Essen. Erst sehr weit draußen im Münsterland wird das Hausbauen wieder günstiger. Und der Mietmarkt im Revier ist entspannt, die Wohnungspreise sind in den vergangenen Jahren kaum gestiegen.
Die KVR-Studie räumte auch mit einer anderen Vermutung auf: Es seien nur vereinzelt Arbeitssuchende, die abwandern. Die Mehrheit flüchtet vor einer zumindest empfundenen Unsicherheit, vor tristen Geschäftszeilen, leeren Wohnblöcken und Lärm.
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