: UWE RADA über die europäische Wasserkrisenregion
Der ungeahnte Charme der Lausitz
16 Uhr, Feierabend, endlich. Für Nadine Komarowska beginnt der Tag ein zweites Mal. Vor ihrem Büro in Großräschen-Waterfront wartet eine Idylle, um die sie jeder Berliner beneidet. Waterassistant Nadine Komarowska arbeitet und lebt am See.
Das war nicht immer so. Vor fünfzehn Jahren noch hat Nadine Komarowska vom Schreibtisch auf eine Wüste geschaut. Vor ihr lag der „Grand Canyon der Lausitz“, die ausgebaggerte Landschaft des Tagebaus Meuro aus dem 20. Jahrhundert. Es war eine Landschaft voller Wunden, deren Protagonisten sich nicht einmal auf einen einheitlichen Namen einigen konnten: Die einen nannten sie postindustrielle Wüste, die andern Zukunftsacker, Dritte wiederum Amöbia. Dass aus der Grube der vormaligen Ilse-Bergbau-Aktiengesellschaft einmal ein Badesee mit analogem Strand, Marina und Swimming Urban Area werden würde, konnte man sich auf den Screenshots der Landschaftsdesigner eher vorstellen als beim Blick aus dem Fenster. Doch das Warten hat sich gelohnt. „Aus Wüste wird Wasser“, freut sich Nadine Komarowska und packt ihre Badesachen in den Korb. Der Feierabend, der in Wirklichkeit ein Feiernachmittag ist, kann beginnen.
Und aus Wasser wird Wüste. Nicht nur in der Lausitz, in der der „Notfallplan Spree“ rund um die Oase Großräschen-Waterfront nun bereits das achte Jahr in Folge in Kraft tritt. Auch in Berlin. Die Berliner Luft, man kann sie inzwischen riechen. Seit Wochen liegt über der Stadt ein beißender Gestank, dem auch die antibakteriellen Einsätze der Bundeswehrhubschrauberflotte „Wüste II“ nichts anhaben können. Günel Üzler-Lucao steht gegenüber der Museumsinsel und zeigt auf das Rinnsal. „Früher“, sagt die Mitarbeiterin des Regionalministeriums Ost für Wassersicherheit, „konnte man den Kindern hier zeigen, in welche Richtung die Spree fließt. Heute fließt sie ein Drittel des Jahres rückwärts. Zumindest das, was von ihr übrig geblieben ist.“
Üzler-Lucao ist um ihren Job nicht zu beneiden. Sieben Stunden am Tag ist sie dem Berliner Gestank ausgeliefert. Da nützt auch die Schutzmaske wenig. „Andere dürfen im Sommer zu Hause arbeiten, ich muss raus“, klagt sie. Dabei habe gerade erst das Regionalgericht Ost entschieden, dass Freilufteinsätze in Berlin als besonders gefährlich gelten. Günel Üzler-Lucao weiß, dass es Zeiten gegeben haben muss, in denen man sie um einen solchen Job beneidet hätte. Wie zum Beweis kramt sie dann aus ihrem Schutzkoffer eine vergilbte Postkarte hervor. „Hier“, sagt sie dann, „schauen Sie. Machen Sie sich das mal klar. Früher gab es hier ein Gartenlokal. Strandbad Mitte hieß das. Open Air und nicht nur Open-Space-Parks wie in Adlershof. Was müssen das für Zeiten gewesen sein?“
200 Kilometer von der stinkenden Hauptstadtregion entfernt macht sich Wiesław Erdinger wie jeden Morgen an die Arbeit und kontrolliert den Pegelstand der Neiße. Zwei Jahre noch muss er jeden Tag zweimal messen, dann muss im Vorstand der europäischen Wasserbehörde Eurowet über den Vorschlag des Wassermultis Memorabile entschieden werden. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Eliminierung eines Flusses von der europäischen Landkarte. Wiesław Erdinger rechnet vor. „Der Erhalt der Neiße kostet 2 Milliarden Euro jährlich, inklusive des Unterhalts der Kanalrohre, die bereits in den Zehnerjahren von der Elbe bis in die Lausitz verlegt wurden, um die Wasserzufuhr zu sichern.
Das Projekt „Flusslandschaft“ dagegen, wie es von Memorabile favorisiert wird, also die Trockenlegung der Neiße samt Bebauung für einen Themenpark aus tropischer Badelandschaft, Flussauensimulation und Schulungszentrum Ökologie, würde einmalig 8 Milliarden Euro kosten. Dazu kommen noch die Kosten der kartografischen Verlage, die ihre Digimaps neu scannen müssen und bereits angekündigt haben, diese Kosten Eurowet in Rechnung zu stellen. Wiesław Erdinger ist sich nicht sicher, was er befürworten würde. „Die Aufgabe des Flusses ist sicher billiger und ‚Flusslandschaft‘ wäre bestimmt ein Touristenmagnet in der sonst so schwachen deutsch-polnischen Euroregion“, sagt er. „Aber andererseits gehören Flüsse doch seit jeher zum kulturellen Erbe der Menschheit.“ Erst gestern hat Erdinger von einer Initiative gehört, die die Neiße als ehemaligen Grenzfluss zwischen Deutschland und Polen in die Weltkulturerbeliste der Unesco eintragen lassen will.
Mit solchen Problemen werden sich die Wasserpolitiker im Hotel Ritz Carlton in Berlin nicht beschäftigen. Wenn sie heute zur europäischen Wasserkonferenz 2029 zusammenkommen, geht es nicht um Ökologie oder ökologische Themenparks, sondern um die europäische Sicherheit. Vor einer Woche erst hat der Ministerrat der EU Ostdeutschland und Westpolen auf die Liste der europäischen Wasserkrisenregionen gesetzt. Um 1,4 Grad hat sich die Temperatur gegenüber dem Jahr 2000 im Schnitt erhöht, in der Lausitz waren es sogar 1,8 Grad.
Mittlerweile ist es dort so trocken wie Südsibirien und Mexiko. Die Region ist damit zur europäischen Wassernehmerregion geworden. Da die europäischen Wassergeberländer aber an ihrer strikten Wassersparpolitik festhalten, droht der Region zwischen Berlin und Breslau der Wasserhahn zugedreht zu werden. Die Sicherheitsbehörden halten gewalttätige Auseinandersetzungen an den Rohren des transeuropäischen Wassernetzes und an den schwer bewachten Uferzäunen der Oder nicht mehr für ausgeschlossen.
Nadine Komarowska lassen solche Konflikte kalt. Dass sie am See wohnt und das ganze Elend samt Gestank nicht ertragen muss, hat sie verdient. Und sie lässt sich den Luxus etwas kosten. 250 Euro Wassertaxe zahlt sie monatlich. Dazu kommen noch die Anlegegebühren für ihr Boot in der Marina und die Pachtkosten für ihr Maritime Resort in der Swimming Urban Area.
Doch selbst das kann den Zuzug der Menschen aus der Region in die Lausitzer Seenplatte kaum stoppen. Wo noch in den Nullerjahren die Abwanderung das Ausmaß einer Fluchtbewegung annahm, wird es in Zukunft vielleicht sogar Zuzugssperren geben. Ein entsprechender Antrag des ostdeutschen Wasserministeriums wird heute erstmals auf der Wasserkonferenz im Ritz Carlton beraten.
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