: Unmögliche Liebe
Karg, intim, vergänglich: Luk Perceval inszeniert sensibel Jon Fosses Kammerspiel „Traum im Herbst“. Ein Gastspiel der Münchner Kammerspiele eröffnete die Autorentheatertage am Thalia
von KARIN LIEBE
Schon der Titel klingt nach Abschied. Traum im Herbst heißt das Stück des norwegischen Autors Jon Fosse, und sein wiederkehrendes Motiv ist tatsächlich der Abschied – der Abschied von der Liebe und vom Leben.
Und doch ist diese schwermütige Inszenierung, ein Gastspiel von den Münchner Kammerspielen, auch ein Anfang: Sie eröffnet die Autorentheatertage am Thalia Theater. Die eindringliche Inszenierung des belgischen Regisseurs Luk Perceval setzte hohe Maßstäbe für all die anderen Stücke, die bis zum 14. Juni dort und am Thalia in der Gaußstraße gezeigt werden. Schön und klar hat Perceval das Kammerspiel in Szene gesetzt, das Stationen eines Lebens in sich zeitlich überlappenden Erinnerungen erzählt.
Es beginnt wie so oft: Er trifft sie. Das alte Spiel, allerdings an einem ungewöhnlichen Ort: einem Friedhof – der allerdings nicht auf Anhieb als solcher zu erkennen ist. Katrin Brack hat eine hohe, ziemlich schiefe Säule gebaut, um die herum der namenlose Er und die namenlose Sie stehen. Du hier? Na, so ein Zufall. Viele Meter liegen zwischen den beiden, sie werfen lange Schatten auf die Säule. Flüchtig scheinen sie sich nur zu kennen, von früher. Er ist inzwischen verheiratet, ein Sohn, sie lebt allein. Doch irgendetwas hat sie schon immer zueinander hingezogen. Eine zögerliche Annäherung, mit verlegenem Lachen und wiederholten Bekenntnissen: „Ich habe dich vermisst.“ Dann wieder Rückzug. Er hat oft an sie gedacht, nein, öfters, nicht oft, eher manchmal. In diesen widersprüchlichen Sätzen spürt man die Angst vor der Liebe, und weil sonst nichts enthüllt wird über die Vergangenheit der beiden, erkennt man in dieser spezifischen Angst auch die allgemein menschliche Angst vor der Liebe.
Stephan Bissmeier und Dagmar Manzel halten dieses Zaudern lange in schmerzlich-lustvoller Schwebe – bis sich endlich ihre Hände berühren. Aber schon hier, im Aufkeimen einer Liebe, ist der Tod zugegen. Sie erzählt davon, wie sie in jeder Stadt, die sie besucht, auf einen Hügel geht und herabblickt auf die vielen Häuser. Und daran denkt, dass die Menschen, die darin wohnen, alle sterben, nur die Häuser bleiben.
Später wohnen die beiden zusammen in einem alten Haus, und er will es verkaufen. Da ist seine Liebe zu ihr schon ermattet, viele Menschen sind inzwischen gestorben. Seine Großmutter, sein Sohn, sein Vater. Die Zeiten verschwimmen ineinander, gerade noch haben sich die Jungverliebten ganz lebhaft unterhalten, da werden ihre Stimmen im nächsten Augenblick müde und alt. Jahre liegen dazwischen, und dass der Zuschauer das auf Anhieb erkennt, zeugt von der großen Schauspielkunst von Stephan Bissmeier und Dagmar Manzel. Sie müssen sich keine Masken aufsetzen und auf alt und krumm mimen, allein durch eine Verschiebung des Tonfalls, der Tonhöhe entstehen Jahre zwischen Sekunden. „Wie die Zeit vergeht“, sagt seine Mutter (Gundi Ellert) auf dem Begräbnis seiner Großmutter. Alt sei die Großmutter geworden, sehr alt. Und wie die Zeit vergeht! Redundante Sätze, die Gundi Ellert so spricht, wie sie im Alltag eben so gesprochen werden.
Das Erstaunen über die Vergänglichkeit, die Trauer und Wut darüber, dass ihr Sohn seit seiner Scheidung von Gry (Cornelia Heise) nichts von sich hat hören lassen, bricht sich in pausenlosem Gerede Bahn. Und der Vater (Werner Rehm) schweigt oder wiegelt ab – auch so ein prototypisches väterliches Verhalten. Während die Mutter ihrer neuen Schwiegertochter immer wieder versichert, wie sehr sie sich freue, sie endlich kennen zu lernen, dreht sie ihr den Rücken zu – und hält Ausschau nach dem verlorenen Sohn.
Ein trauriges Stück, einfach erzählt, einfach in Szene gesetzt. Obwohl oder gerade weil die Schauspieler in Mikros sprechen, kommt von Anfang an eine große Intimität und Intensität auf. Ohne Sentimentalitäten wird fortwährend von der Unmöglichkeit erzählt, die Liebe zu halten und das Leben festzuhalten. Nur eins ist sicher: der Tod.
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