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Doppelt hält besser

Zweisprachige Erziehung, so scheint es, hat in Berlin ausgedient. Andererseits findet man in Berlin mit der bundesweit einzigartigen „Europaschule“ einen Schultyp, der längst zum Vorzeigemodell bilingualer Erziehung avanciert ist

von JEANNETTE GODDAR

Es gibt erfreulichere Tage für den Berliner Schulsenator als jenen, an dem er die Deutschkenntnisse künftiger Erstklässler vorstellt. Insbesondere auf die zweite und dritte Generation wirft die Sprachstandsmessung „Bärenstark“ ein düsteres Licht: Vier von fünf Kinder aus Einwandererfamilien können nicht genug Deutsch, um dem Unterricht zu folgen. Das Fazit, sagte Klaus Böger, (SPD) könne nur lauten: Das Erlernen der deutschen Sprache „hat absolute Priorität“. Deutsch zu lernen sei „keine Zumutung, sondern selbstverständliche Pflicht für jeden, der bei uns leben will“. Damit sprach Böger nicht nur etwas aus, was wohl niemand bezweifelt – er sagte auch, wie er sich das vorstellt, nämlich ohne Zuhilfenahme der Muttersprache. Zweisprachige Erziehung, so scheint es, hat in Berlin ausgedient – nicht zuletzt, seit sich einige Kreuzberger Schulen in den vergangenen Jahren freiwillig davon verabschiedet haben.

Andererseits findet man in Berlin mit der bundesweit einzigartigen „Europaschule“ einen Schultyp, der längst zum Vorzeigemodell bilingualer Erziehung avanciert ist. An insgesamt 15 Grundschulen lernen Kinder von der ersten bis zur sechsten Klasse in zwei Sprachen, an fast ebenso vielen Oberschulen können sie den Weg fortsetzen. Als die Europaschulen 1992 gegründet wurden, hat man die Kinder zunächst mit den gängigen Fremdsprachen Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch gelockt. Inzwischen aber sind die Schulen so etwas wie ein Spiegelbild der eingewanderten Communities: In Schöneberg und Neukölln gibt es deutsch- italienische, in Kreuzberg eine deutsch-türkische, in Charlottenburg eine deutsch-polnische Schule. Lediglich Serbokroatisch und Arabisch – Letzteres ist aber auch keine europäische Sprache – sind nicht im Angebot.

Das Konzept richtet sich gezielt an Deutsche wie Nichtdeutsche, idealerweise soll das Verhältnis fifty-fifty sein. Wer sich anmeldet, wird erst einmal auf seine Sprachkenntnisse durchleuchtet. Wer besser Deutsch kann, bekommt Deutsch als so genannte „Schwerpunktsprache“ und die andere als „Partnersprache“; bei den anderen ist es umgekehrt. Im Anschluss lernt jedes Kind zunächst in seiner Schwerpunktsprache lesen und schreiben. Doch auch die „Partnersprache“ steht am Anfang drei, ab dem dritten Schuljahr sechs Stunden pro Woche auf dem Stundenplan. In allen anderen Fächern werden die Kinder gemeinsam unterrichtet. Sachkunde, Musik, Bildende Kunst gibt es in der Fremdsprache; Mathe wird auf Deutsch gelehrt.

In den Schulen ist man sich sicher, mit der zweisprachigen Erziehung auf dem richtigen Weg zu sein. Wer zunächst in seiner eigenen Sprache lesen und schreiben lerne, tue sich auch mit der Zweitsprache leichter, sagt Adelheid Riehm, stellvertretende Leiterin der deutsch-türkischen Aziz-Nesin-Schule. Außerdem würden Kinder an den Europaschulen nicht nur mit ihrer Sprache, sondern auch mit ihrer Kultur ernst genommen: „Dann lernen sie auch schneller und lieber“, sagt Riehm. Dass die Kinder am Ende zwei Sprachen nicht nur irgendwie auseinander halten, sondern fließend sprechen können, mag aber auch an den guten Bedingungen der Schulen liegen: 10 bis 14 Stunden Sprachunterricht pro Woche finden in Gruppen mit höchstens 14 Schülern statt. Und wer etwas in der einen Sprache nicht versteht, kann immer jemanden fragen, der weiß, wie es in der anderen Sprache heißt.

Unterstützung findet die bilinguale Erziehung aber auch nach wie vor bei Berliner Sprachwissenschaftlern. Sechsjährige in einer Sprache zu alphabetisieren, die sie kaum sprechen, mache wenig Sinn, sagt Jörg Ramseger, Schulpädagoge an der Freien Universität. Ramseger: „Nur wenn die Muttersprache gründlich gelernt wird, haben die Kinder eine Basis für die Fremdsprache Deutsch.“ Er verweist auch darauf, dass die Alphabetisierung in der Muttersprache in nahezu allen Einwanderungsländern außer Deutschland immer forciert wurde.

Hier aber scheitert der muttersprachliche Unterricht häufig schon am Personal. Fast alle Europaschulen suchen händeringend Lehrer, die dafür ausgebildet wurden, Kinder in einer anderen Sprache zu alphabetisieren. Dass man keine findet, liegt nicht nur, aber auch daran, dass im Ausland erworbene Abschlüsse in Berlin nicht als gleichwertig anerkannt werden. Wer in England, Frankreich oder der Türkei ausgebildet wurde, verdient bis zu 500 Euro weniger als deutsche Kollegen. Zur Begründung erklärt die Schulverwaltung, ausländische Lehrer hätten in der Regel kürzer studiert und seien häufig außerdem nicht wie deutsche Lehrer in zwei Fächern ausgebildet.

Besonders engagierte Lehrer können daran etwas ändern. Wer neben seinem Job in der Ganztagsschule noch die Zeit findet, kann in Deutschland nebenbei noch einmal die Uni besuchen und sich dort zum echten deutschen Lehrer fortbilden lassen.

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