piwik no script img

Das schwarze Schaf im Wolfspelz

Vor zwanzig Jahren ereignete sich mit den angeblichen Hitler-Tagebüchern der größte Betriebsunfall der deutschen Presse. Die zentrale Figur des Skandals, der damalige „Stern“-Reporter Gerd Heidemann, sieht jetzt die Zeit der Abrechnung gekommen

Heidemann blieb auf der Sühne sitzen. Der 71-Jährige lebt heute von der Sozialhilfe

von GISELA SONNENBURG

Ein seltsames Jubiläum. Es war ein Vexierspiel aus Schein und Sein, aus Lug und Trug, aus Sensationsgier und Fälschung – und es war der Medienskandal schlechthin, bis heute ein unübertroffener Superlativ: Im April 1983 veröffentlichte der Stern die angeblichen Tagebücher eines gewissen Adolf Hitler, ließ sich von drei international anerkannten Gutachtern deren Echtheit bescheinigen und sonnte sich in der Rolle als Volksaufklärer.

Die Geschichte des Dritten Reichs müsse umgeschrieben werden, tönte der Hitler-Experte Hugh Trevor-Roper – aber das Einzige, das umgeschrieben wurde, war die Story um den Hype. Denn Hitlers „geheimste Gedanken“, so zum Mundgeruch von Eva Braun, entpuppten sich zehn Tage nach ihrer Präsentation als grandiose Fälschung. Ein Stück wie aus dem Tollhaus – doch die Führungsetage des Stern-Verlags Gruner + Jahr, die 9,3 Millionen Mark für die dubiosen Erzeugnisse hingeblättert hatte, wusch ihre Hände in Unschuld.

Der erste Sündenbock für die Narretei im Weltmaßstab war rasch gefunden: Konrad Kujau alias Konrad Fischer, der erst meisterlich gefälscht und dann ebenso meisterlich die Komödie vorgespielt hatte, er habe die Kladden aus einem bei Kriegsende abgestürzten Flugzeug. Dafür saß er drei Jahre im Gefängnis, nicht ohne vorher den zweiten Sündenbock mächtig zu belasten: Gerd Heidemann, altgedienter, sogar mit Preisen geehrter Kriegs- und Star-Reporter beim Stern. Laut Kujau übergab er statt der 9,3 Millionen nur 2,4 – Heidemann bestritt das stets. Tonbänder, die seine Unschuld beweisen sollten, wurden als Beweismittel vom Gericht gar nicht erst zugelassen.

Ist Heidemann das eigentliche Opfer der Affäre? Der Stern verdiente, trotz Imageverlust und Investment in die Fälschungen, rund 20 Millionen Mark am Hitler-Desaster. Sagte Stern-Herausgeber Henri Nannen vor Gericht, sagt Heidemann. Und Kopist Kujau, schlagartig berühmt geworden, vermarktete sich bis zu seinem Tod vor drei Jahren als Kunstmaler mit Großraumherz – ein erfolgreicher Renegat.

Nur Heidemann blieb auf der Sühne sitzen. Der mittlerweile 71-Jährige, von Kujaus Anwalt bezüglich der Tonbänder zum Schweigen vergattert, lebt als Sozialamtsgänger in Hamburg: in einer zum Aktenarchiv umgebauten Wohnung. Ein gefallener Reporter, der einem Fake auf den Leim gegangen war – kein Tom Kummer, aber ebenso stigmatisiert. Der Stern hatte ihn nach dem Eklat fristlos gefeuert, nicht mal eine Betriebsrente war drin.

Jetzt, nach Kujaus Tod, will Heidemann es noch mal wissen. Er tritt an, sich als Racheengel zu rehabilitieren: Ausgerechnet Kujaus Großnichte Petra, die in Berlin die „Galerie der Fälschungen“ mit Kujau-Werken führt, ermutigt ihn, an die Öffentlichkeit zu gehen. Eine späte Genugtuung für den alten Herrn. So spricht der rüstige Brillenträger bei einem Infoabend in der Galerie ohne Koketterie darüber, „wie es wirklich war“. Er wirkt, zumal im Umfeld der bunten Kujau-Gemälde, glaubwürdig, wenn er sagt: Er hat das Geld nicht. Er hat bis zur Entlarvung der prekären Bücher durch das Bundesamt für Materialprüfung an ihre Echtheit geglaubt. Hat sie akribisch wie ein Detektiv geprüft, als wolle er eine Adolf-Biografie schreiben.

Aber auch Fälscherkönig Kujau hatte recherchiert. Sogar die Rechtschreibfehler waren Hitler-gemäß: Kujau hatte gute Arbeit geleistet – zu gute. Er war „mein größter Reinfall“, so Heidemann. Demnach hätte die Sache jedem passieren können, der in der Hysterie der vermurksten NS-Aufarbeitung an die Echtheit der Ergüsse glauben wollte. Auch „Schtonk“, der Film von Helmut Dietl, stellt darauf ab.

Gerade diejenigen, die Heidemann drängten, die Tagebücher mit Bargeld aus der Plastiktüte einzulösen, ließen ihn später fallen. So Gerd Schulte-Hillen, der heute im Aufsichtsrat des Bertelsmann-Konzerns sitzt. Petra Kujau, die an einem Buch über Heidemann arbeitet, ahnt, dass sie aus dieser Richtung starken Gegenwind hat.

Aber Heidemann ist ihr Kronzeuge. Er schwört, dass er nichts von den Machenschaften des Meister Kujau wusste. Der hatte schon Jahre zuvor Nazi-Dokumente gefälscht – und bis in die USA verscherbelt. Die Faszination der Fälschungen erfasste auch den deutschen Staatsapparat: Ein Jahr lagen die Tagebücher beim Bundeskriminalamt, ohne dass man zu einem Ergebnis in Sachen Authentizität kam.

Boulevard- und Fußballheld Stefan Effenberg glaubte sogar noch jüngst, sie als Buch gelesen zu haben. Seine Dummheit blieb unbestraft. Aber als damals der Schwindel aufflog, jagte die Justiz den vermeintlich schuldigen Journalisten Heidemann wie sonst nur Terroristen und Landesverräter: Zwei Jahre saß er in U-Haft, bis er 1985 zu vier Jahren und acht Monaten Haft verurteilt wurde.

Sein Antrag auf Revision wurde 1986 ohne Begründung abgelehnt, die Reststrafe erfolgte im offenen Vollzug. Die voreiligen Geschäftemacher aus dem einflussreichen Haus von Gruner + Jahr, die das Ergebnis der Materialprüfung nicht abgewartet hatten, wurden indes nicht mal angeklagt. Im Gegenteil: Heidemann hat offiziell beim Stern Schulden in Millionenhöhe – aber wo nichts ist, kann auch nichts eingetrieben werden.

„Wir werden die Millionen suchen und finden“, verspricht Petra Kujau. Heidemann weiß auch schon, wo: bei Schweizer Banken. Konrad Kujau habe ihn nämlich zuletzt am 9. Mai 1983 angerufen – aus einer Telefonzelle in Sankt Gallen. Und noch ist nicht klar, ob nicht auch Geheimdienste ihre Finger im Spiel haben. Denn Heidemann hatte zur Stasi wie auch zu westdeutschen Diensten beste Kontakte, und Konrad Kujau behauptete, er habe auch einiges für den BND gefälscht. Womöglich war der Hitler-Coup ja nur ein Probelauf – für weitere Geschichtsverfälschungen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen