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Der beste Sex deines Lebens

Hörhilfe: Der sehr hörbare Shortcut zu Houellebecqs letztem Roman „Plattform“ – inklusive Stöhn-Samples!

Steile Thesen, moralische Ans-Bein-Pinkeleien und alles nicht so kompliziert

Ein signifikantes Merkmal des modernen westlichen Menschen ist seine Unfähigkeit, sexuelle Befriedigung zu erlangen, sagt Michel Houellebecq. Möglich, dass der moderne westliche Mensch es außerdem deshalb ganz okay findet, täglich mindestens ein Stündchen im Stau zu stehen. Dort ist man für und bei sich, kein Partner nörgelt, kein Chef nervt, stattdessen Ruhe und Komfort. Hier schiebt der moderne westliche Mensch charakteristischerweise ein Audiobook in den CD-Player und nutzt das staubedingte Zeitfenster zur literarischen Fortbildung.

Lange Zeit war es hauptsächlich diese Verschmelzungsfantasie von Mobilität und auditiver Literaturrezeption, mit der man sich das Überleben der signifikant dem Buchmarkt hinterherdackelnden Audiobranche erklärte. Den modernen Staumenschen, denkt man, wird es nicht anfechten, dass beispielsweise die deutsche Übersetzung von Michel Houellebecqs „Plattform“ bereits im Februar 2002 traditionell zwischen Buchdeckeln erschien, während er die Hörspielversion erst diesen Frühsommer erwerben kann. Angefochten fühlt man sich höchstens als Hörhelferin, die nur noch die Suppe aufwärmen darf.

Im Falle Houellebecq ist aber sogar das Warmmachen nett. Steile Thesen, massenhaft moralische Ans-Bein-Pinkeleien und alles nicht so kompliziert: „Plattform“ ist Michel Houellebecqs dritter Roman und handelt, quel Zufall, von Michel, einem modern einsamen Durchschnittstypen, der nach dem Tod seines Vaters eine Pauschalreise nach Thailand bucht und dort leidlich munter mit lokalen Masseusen vögelt.

Er lernt die fleißige Tourismusangestellte Valérie kennen, hat mit ihr nach der Rückkehr aus Asien den besten unbezahlten Sex seines Lebens und assistiert ihr bei der Gründung einer südostasiatischen Pauschalsexferienclub-Kette. Gerade, als sie vor Ort auf den Firmenerfolg anstoßen, verübt eine islamische Terrorgruppe ein Attentat – dem Valérie zum Opfer fällt. Desillusioniert und lebensmüde kehrt Michel nach Paris zurück.

Der „Plattform“-Reiz liegt weniger in den Sexszenen, durchaus lesbaren Verschnitten aus Ratgebersprache und verträglicher Pornopoesie („sanfte Mösen“) als in den forsch welterklärenden Exkursen. In ihnen analysiert der französische Kettenraucher den modernisierungsbedingten Sexnotstand der westlichen Bevölkerung und empfiehlt seine pragmatische Beseitigung.

Die Lösung wird natürlich längst vollstreckt, hierzulande allerdings moralisch geächtet: Junge, authentische Dritt-Welt-Frauen (bisweilen auch -Männer) verkaufen ihre Körper und die Fiktion von unkompliziertem Sex an frustrierte Singles aus den wohlhabenden Westzivilisationen. Damit müsste, wie schön, eigentlich beiden Seiten geholfen sein.

Bloß gegen die antiliberalen Islamisten hatte der Autor im Jahr 2001 noch kein Rezept entwickelt – doch da tun sich ja inzwischen andere mit unglaublich guten Ideen hervor.

Nun köchelt Martin Zylkas kurzweilige Hörspiel-Version 340 teilweise doch recht langwierige Seiten auf 111 wortkarge Minuten ein. Alles Wesentliche kommt vor, von überraschend viel Überflüssigem hat man sich getrennt. Obendrein beansprucht der treffsichere World-Muzak-Soundtrack mit winzigen albernen Stöhnsamples, den Air-Produzent Bertrand Burgalat beisteuert, beinah die Hälfte der Zeit. Womit es ein signifikantes Merkmal dieses verdienstvollen Hörbuchs ist, das Talent des Verfassers zu optimieren – und die Vermutung nahe zu legen, dass die Audiobranche auch jenseits der Staus höhere Zwecke erfüllt.

EVA BEHRENDT

Michel Houellebecq: „Plattform“. Hörspiel mit Jürgen Tarrach, Sylvester Groth, Nele Müller-Stöfen, u. a., Bearbeitung von Martin Zylka. 2 CDs, 111 Min., WDR Köln 2002/Der Audio Verlag 2003

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