: Politik über Fußball lernen
Neun Anhänger von Werder Bremen besuchten im Rahmen eines Projektes gegen Rassismus Fußballfans in Tel Aviv. Sie lernten die politischen Konflikte in Israel von einer neuen Seite kennen
VON RALF LORENZEN
Als die kleine grün-weiß gekleidete Gruppe die Bar in der israelischen Stadt Petach Tikwa betritt, wird sie mit lautem Jubel begrüßt. Die Gesänge reißen auch in den nächsten Stunden, die sie hier mit neuen Freunden verbringen, nicht ab. „Das war ein Glückwunsch für die Courage unserer Fans beim Spiel Bochum-Werder“, sagt Thomas Hafke vom Bremer Fan-Projekt. In Bochum hatten Bremer Anhänger kurz zuvor eine Gruppe rechtsradikaler Stadionbesucher in ihre Schranken verwiesen. „Die Fans von Hapoel Petach Tikwa waren über die Presse über die Vorfälle bestens informiert“, sagt Hafke.
Das Treffen in der Bar ist ein Programmpunkt der 10-tägigen Reise von neun Werderfans nach Israel. Und damit der dritte Teil eines deutsch-israelischen Austausches unter dem Motto „Fußballfans gegen Gewalt und Rassismus“, der im Frühjahr bereits eine Gruppe israelischer Fans nach Bremen geführt hat. Vorausgegangen waren Treffen von Fachkräften der Jugendsozialarbeit.
Auch in Israel ist Fußball die Sportart Nummer eins und die Fans haben ähnliche Probleme wie die in Europa: Die Vereine werden immer kommerzieller oder nach englischem Vorbild gleich an einzelne Investoren verkauft. Und auch gewalttätige Auseinandersetzungen gibt es seit Jahren. „Der erste Kontakt kam zustande, als mich das israelische Erziehungsministerium bat, über unsere Fanarbeit zu berichten“, sagt Reiseleiter Thomas Hafke. Schnell wurde klar, dass es nicht ausreicht, wenn sich die Pädagogen treffen – die Fans selbst sollten sich kennen lernen.
„Wir wollen andere Wege kennen lernen, um mit der Gewalt in Stadien umzugehen. Denn bei uns wird das nicht über pädagogische Arbeit gemacht, wie in Bremen, sondern nur über die Polizei und Gesetze, die alles Mögliche reglementieren“, sagt Shay Golub von den „Israfans“, einer Dachorganisation verschiedener Vereinsanhänger. „Auf ihre Fanszene mit den Fanprojekten und gut organisierten Supporter Clubs könnten die Deutschen stolz sein, sagt der Anhänger von Hapoel Kfar Saba. „Wir haben nur einige wenige organisierte Fanclubs bei uns. Aber wir kämpfen auch dafür, dass die Vereine unsere Interessen mehr beachten.“
Für die Bremer ist der Austausch ein wichtiger Schritt in der Arbeit gegen Diskriminierung, Antisemitismus und Vorurteilen gegenüber Israel. „Über den Fußball kann man politische Themen ein bisschen anders angehen, ohne die Vorbehalte, die man bei einer reinen Bildungsreise vielleicht hat“, sagt Reiseteilnehmer Miro. Nach Besuchen der Altstadt von Jerusalem, der Feste Masada, des Kibbuz Nachsholim, der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem und des palästinensischen Autonomiegebiets ging es in Tel Aviv für drei Tage in israelische Gastfamilien.
„Gerade in den Tagen bei den Familien haben wir noch einmal eine andere Sicht auf die Konflikte hier bekommen“, sagt Miro und Boris ergänzt: „Ich habe in den Tagen bei der Gastfamilie mehr über das Land gelernt, als in den 24 Jahren zuvor.“ Während ein Großteil der Gruppe mit Anhängern von Maccabi Tel Avi verbrachte, taten sich Boris und zwei Freunde aus der Bremer Ultra-Szene mit den Ultras von Hapoel Tel Aviv zusammen. „Wir haben uns mit den Hapoel-Leuten getroffen, weil wir mit ihnen in einem antifaschistischen Netzwerk sind“, begründet Boris diese Abspaltung, die von den Maccabi-Anhängern bedauert wurde.
In den israelischen Fußballvereinen spiegelt sich ihre politische Gründungsgeschichte deutlich wieder. Die Maccabi-Clubs werden zum Großteil der bürgerlichen Mitte zugeordnet, während die Hapoel-Vereine in der Tradition der sozialistischen Arbeiter- und Kibuzzbewegung stehen. Daneben gibt es noch einige Vereine mit national-religiösem Hintergrund wie Beitar Jerusalem. In Tel Aviv geht die Rivalität der Fans von Maccabi und Hapoel noch über diejenige hinaus, die hierzulande etwa zwischen St. Pauli und dem HSV bekannt ist. „Dabei hat die politische Komponente einen riesengroßen Stellenwert“, sagt Boris. Die Hapoel-Ultras aus Tel Aviv sind antinationalistisch und solidarisieren sich mit Palästinensern. Tiefen Eindruck hinterließ bei Boris ein vierstündiges Gespräch mit einem Armeeangehörigen in seiner Gastfamilie. „Die sagen auch: Wir brauchen Land. Aber sie sagen dazu: Wir kritisieren die Armee. Es ist eben nicht nur die Israel Defense Force, sondern die Israel Attacking Force.“
Die getrennte Bremer Gruppe geriet in Tel Aviv just in die Vorbereitungen auf das brisante Erstliga-Derby zwischen Maccabi und Hapoel. Da das Spiel erst nach ihrer Abreise stattfand, besuchte der Großteil der Bremer mit der Maccabi-Fangruppe „12Players“ das Spiel Maccabi Tel Aviv gegen MS. Ashdot im Bloomfield Stadium. „Das ist von den Besuchern nicht vergleichbar mit Deutschland“, sagt Miro. „Keine Logen, überwiegend junge Fans, alles sehr fanatisch, sehr laut, sehr bunt. Eine gelb-blaue Wand von 15.000 Menschen.“
Vereint war die Bremer Gruppe dagegen in der Anerkennung der Fans von Hapoel Katamon. „Die gehörten früher zu Hapoel Jerusalem, waren aber unzufrieden mit dem korrupten Management“, erklärt Miro. „Sie haben dann einen eigenen Verein gegründet und die Lizenz von einem verschuldeten Verein in der vierten Liga gekauft. Jetzt spielen sie dort vor 4.500 Zuschauern und der alte Verein in der zweiten Liga vor 200.“
Gemeinsam mit den Fans von Petach Tikwa und Katamon soll der Fan-Austausch im nächsten Jahr weiterentwickelt werden. Beteiligen möchten sich daran auch Fans aus Jena, die vor einiger Zeit von Rot-Weiß Erfurt Zuschauern als „Juden-Jena“ beschimpft wurden und daraufhin beim Rückspiel die Israelfahne mit dem Davidstern im Fanblock präsentierten.
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