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„Unser Wahlrecht zurückholen“

Erneutes Volksbegehren für ein demokratisches Wahlrecht läuft in Hamburg an. Gregor Hackmack von „Mehr Demokratie“ im taz-Interview über zehn Stimmen zum Kumulieren und Panaschieren

GREGOR HACKMACK, 31, Politologe, vom Verein „Mehr Demokratie“ und Miterfinder von www.abgeordnetenwatch.de.

INTERVIEW SVEN-MICHAEL VEIT

taz: Herr Hackmack, warum schon wieder ein Volksbegehren?

Gregor Hackmack: Wir wollen uns unser Wahlrecht zurückholen, welches 2004 per Volksentscheid eingeführt worden war. Der CDU-Senat hat dies 2006 rückgängig gemacht. Jetzt aber, nachdem die Verbindlichkeit von Volksentscheiden in die Hamburger Verfassung aufgenommen wurde, wollen wir einen neuen Anlauf machen. Ziel ist, mit einem Volksentscheid am 27. September 2009, dem Tag der Bundestagswahl, das vom Volk schon einmal beschlossene Wahlrecht erneut und dann verbindlich beschließen zu lassen.

Im Februar dieses Jahres wurde doch nach einem neuen Wahlrecht gewählt: Es gab Wahlkreise und Direktkandidaten, jeder Wähler hatte mehrere Stimmen …

Das ist zwar richtig, aber das war die von der CDU amputierte Form des Volkswahlrechts. Die 17 Wahlkreise gab es zwar, aber es gab keine wirkliche Möglichkeit zur Auswahl unter den KandidatInnen der Parteien.

Aber es wurden doch Menschen in die Bürgerschaft gewählt, die von ihren Parteien nur einen hinteren Listenplatz bekommen hatten. Das war doch das, was „Mehr Demokratie“ erreichen wollte.

Von den 71 direkt gewählten Abgeordneten haben genau drei – alle Sozialdemokraten – nach intensivem persönlichen Wahlkampf einen solchen Sprung nach oben geschafft. Es gab aber 15 Fälle, in denen Kandidaten nicht erfolgreich waren, obwohl sie mehr Stimmen bekamen als andere, die vor ihnen auf der Liste standen. Da sind letztlich Wähler um ihre Stimme betrogen worden.

Heißt das, Kandidaten sind nicht in die Bürgerschaft gekommen, obwohl sie mehr Stimmen erhalten hatten als ihre Mitbewerber?

Richtig.

Wie kann das denn angehen?

Das CDU-Wahlrecht hat Stimmen für die Partei auf Wahlkreisebene einfach als Bestätigung der vorgeschlagenen Parteiliste gewertet. Daher zogen KandidatInnen auf vorderen Listenplätzen in die Bürgerschaft ein, auch wenn sie weniger direkte Stimmen erhielten als MitbewerberInnen auf hinteren Listenplätzen. Diese Regelung führte dazu, dass alleine in der CDU acht BewerberInnen um ihr Mandat gebracht wurden, darunter fünf Frauen.

Das Volksbegehren

Per Volksbegehren will „Mehr Demokratie“ in Hamburg wieder das Wahlrecht wieder einführen, das bereits von 2004 bis 2006 galt – aber nie angewendet wurde. Denn der erste erfolgreiche Volksentscheid war nach zwei Jahren von der allein regierenden CDU wieder einkassiert worden. Jetzt startet der zweite Versuch für „ein Wahlrecht von unten“. Auf mehr als 2.600 Großplakaten in der Stadt prangt die Losung „Wir holen uns unser Wahlrecht zurück“. Die Sammlung von mindestens 62.000 Unterschriften wird vom 23. Januar bis zum 12. Februar durchgeführt. Briefwahlunterlagen können bereits angefordert werden.  SMV

Welches sind die Kernpunkte des Wahlrechts, das „Mehr Demokratie“ nun per Volksbegehren und anschließendem Volksentscheid in Hamburg einführen möchte?

Die 17 Wahlkreise sollen bleiben, jedoch ohne diese „CDU-Regelung“. Wir wollen zudem die Landeslisten öffnen, damit die WählerInnen dort häufeln und verteilen, also kumulieren und panaschieren können, wie sie es für richtig halten. Wir wollen die Fünf-Prozent-Hürde bei den Wahlen zu den Bezirksversammlungen abschaffen und diese künftig alle fünf Jahre zusammen mit den Europawahlen durchführen.

Das heißt bei Wahlen zur Bürgerschaft: zehn Stimmen für die WählerInnen? Fünf für die DirektkandidatInnen im Wahlkreis und fünf für die Landeslisten?

Richtig. Bis zehn zählen kann jeder. Das bedeutet größere Auswahl und mehr Demokratie.

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