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Der Goldregen aus Übersee

Cross-Border Leasing (CBL) scheint ein Geschenk des Himmels für die finanzschwachen Kommunen zu sein. Doch die Risiken sind unkalkulierbar

von CORELL WEX und KATHARINA KOUFEN

Stellen Sie sich vor, Sie sind der Kämmerer einer finanziell klammen Stadt wie Frankfurt. Dann fliegen Sie einmal nach New York, führen dort ein paar Verhandlungen, kommen zurück und finden 100 Millionen Euro auf Ihrem Konto vor. Alles was Sie dafür tun müssen, ist ihr sowieso abgeschriebenes U-Bahn-Netz samt dazugehörenden Straßenbahnen und Nebenanlagen zu vermieten.

Die ganz große Koalition

Die Stadt Frankfurt ist im Begriff, genau dies zu tun. Heute stimmen die Stadtverordneten im Römer über den Deal ab, und weil in Frankfurt eine sehr große Koalition mit sehr großer Mehrheit im Rathaus sitzt, wird der U-Bahn-Handel wohl abgesegnet werden. Widerstand regt sich nur außerhalb des Stadtparlaments: Ein Bündnis aus Attac, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und der PDS ist dagegen. Unter dem Hilferuf „Rettet die U-Bahn“ will es 40.000 Unterschriften sammeln und stößt dabei auf gute Resonanz.

Vereinfacht gesagt, vermietet eine Stadt beim Cross-Border Leasing (CBL) öffentliches Eigentum wie ein Klärwerk, eine Messehalle oder die städtische U-Bahn an einen US-Investor für 99 Jahre. Dann mietet die Stadt dieses Eigentum wieder zurück – im Fall Frankfurts zunächst für 28 Jahre. Auf den ersten Blick bleibt alles beim Alten, jedoch sind verschiedene Finanzströme hin und her geflossen. Der US-Investor, der für diesen Zweck eine Treuhandgesellschaft in einer Steueroase gründet, investiert zwar nichts, kann aber in den USA Abschreibungen geltend machen, die er in Form des so genannten Barwertvorteils an die jeweilige Kommune weitergibt.

CBL scheint für die krisengeschüttelten Kommunen vom Himmel selbst zu kommen. Doch in Wirklichkeit birgt ein solcher Handel Risiken: Was passiert beispielsweise, wenn die U-Bahn in 20 Jahren nur noch die Hälfte ihrer Strecken befährt, weil die Fahrgäste ausbleiben? Würde die Stadt Frankfurt daraufhin ihr Netz verkleinern, wäre das für den US-Investor ein Kündigungsgrund. Die Folge: Schadenersatzforderung, und zwar in der Höhe des Steuervorteils, der dem Investor entgeht.

Oder wenn die US-Regierung kurzerhand beschließt, dass die Stadt auf ihre Mieteinnahmen Steuern zahlen muss? Oder das Cross-Border Leasing verbietet? Seit einiger Zeit schon will sie Steuerlöcher schließen, und CBL steht weit oben auf der schwarzen Liste. Die amerikanische Steuerbehörde hat diese Praxis auch bereits als Scheingeschäft charakterisiert. Sicherheitshalber haben die Berater die Verträge inzwischen leicht geändert. Sie heißen jetzt „Service-to-Contract“. Der Unterschied: Nach Ablauf des Untermietvertrags der Kommunen beim Investor soll die Übernahme der Anlage als Dienstleistungsgeschäft garantiert werden. Außerdem werden die Abschreibungen über einen längeren Zeitraum geltend gemacht.

Was schließlich ist mit Investitionen, die ja im Laufe von 30 Jahre notwendig werden können, ohne dass man das heute voraussehen kann? Laut Leasing-Vertrag darf „die Anlage“, in diesem Fall also die U-Bahn mit ihrem Schienennetz und ihren Zügen, nicht verändert werden. Die Stadt Frankfurt muss die verleaste Anlage „betriebsbereit“ halten, wie es in den Verträgen heißt – auch wenn für die U-Bahn möglicherweise kein Bedarf mehr besteht. Dazu gehört auch, dass die Stadt die vollen Kosten für Schäden an der U-Bahn tragen muss, auch wenn diese so unverschuldet sind wie Feuer oder Erdbeben. Für die US-Investoren könnte dies schon ein Grund sein, Schadenersatz zu verlangen. Das Risiko erhöht sich für die deutschen Kommunen dadurch, dass in allen solchen Cross-Border-Leasing-Verträgen das Recht der USA gilt. Gerichtsstandort ist ausschließlich New York.

Unsicher ist die Lage auch, wenn eine beteiligte Bank oder der Investor Pleite gehen sollte. Oder wenn die Verhandlungen mit den Investoren scheitern, wie das Beispiel Aachen zeigt. Die Stadt verhandelte ein Jahr lang über einen Leasingvertrag für ihre Müllverbrennungsanlage – erfolglos. Statt des erhofften „Barwertvorteils“ von 15 Millionen Euro wurden Zahlungen an Banken, Anwaltskanzleien und Berater fällig. Gesamtsumme: 9,5 Millionen Euro.

Breites Spektrum von Gegnern

Angesichts dieser Risiken ist es nicht verwunderlich, dass sich inzwischen bundesweit Widerstand regt. Mit Erfolg: Im fränkischen Städtchen Kulmbach stoppte ein Bürgerbegehren den Plan, das Kanalnetz zu verleasen. Auch in Fürth und Saarbrücken mussten sich Lokalpolitiker den Protesten ihrer Bürger beugen und ihre CBL-Träume beenden. Das Spektrum der Gegner reicht von ganz links bis weit nach rechts. Attac macht Front gegen die grenzüberschreitende Leasingpraxis, aber auch der bayerische Innenminister Günter Beckstein (CSU) warnt vor „unkalkulierbaren Risiken“. Per Gesetz wollte Beckstein im Januar das „grobe Missverhältnis bei der Risikoverteilung zu Lasten der Gemeinde“ verbieten. In der Öffentlichkeit entstehe ein „verheerendes Bild“, warnte Beckstein, „wenn Kommunen auf Steuertricks hart an der Grenze der Legalitiät zurückgreifen“.

Kritiker wie der Bund für Umwelt und Naturschutz NRW oder auch der Wiener Gemeinderat Martin Margulies sehen noch viel längerfristige Gefahren beim Cross-Border Leasing: Eines Tages könnte der US-Investor die verleasten Anlagen wirtschaftlich nutzen oder vermarkten wollen, so die Befürchtung. Folge: Die Stadt verliert ihre Nutzungsrechte – und damit ihr Selbstbestimmungsrecht. Margulies warnt, die Leasingpraxis werde obendrein das Dienstleistungsabkommen Gats vorantreiben, das derzeit von der Welthandelsorganisation diskutiert wird. Im Gats sollen verbindliche, weltweit gültige Regeln etwa für den Handel mit Abwasserversorgung oder mit dem öffentlichen Nahverkehr festgelegt werden. Je mehr kommunale Dienstleistungen offiziell von privaten US-Firmen erbracht werden, desto stärker der Druck für eine „Gleichbehandlung“ von öffentlichen und privaten Dienstleistern, fürchten die Kritiker. Das könnte auch bedeuten, dass private Investoren aus aller Welt demnächst ein Recht auf Subventionen aus dem deutschen Staatssäckel haben.

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