: Nie Kompromisse
Großer Bahnhof für das (Ex-)Enfant terrible der deutschen Malerei. Auch der Kanzler ehrte Georg Baselitz in Bonn
Hoffnung für Deutschland? Gilt Kunst doch wieder etwas? Mit Malerei Geld zu verdienen – welcher Künstler träumt nicht davon? Als Georg Baselitz erste Einzelausstellung in Berlin 1963 mit der Beschlagnahmung zweier Bilder mit einem Skandal endete, war er weit davon entfernt, von Kunst leben zu können.
Zu Kompromissen mit dem gängigen Kunst- und Avantgardeverständnis war Baselitz, der 1957 von der Kunsthochschule in Ostberlin zur Westberliner wechselte, jedoch nicht bereit, nur um vom ‚Enfant terrible‘ zum Publikumsliebling zu mutieren. Er suchte stets den anderen Weg. Was ihm nicht immer gelang.
Selbst wenn er sich, bzw. seine Bilder auf den Kopf stellt, mit dicken Holzfüßen skulptural auf den Boden stampft, röhrende Hirsche in Form von im Kreise tanzenden Pferden malt und bis an den Rand der Kitschproduktion geht, tut er dies alles mit einer nahezu stoischen Selbstverständlichkeit, obwohl er von der eigenen wohl bis in alle Zeiten andauernden Midlifekrisis spricht, zu dessen „tränenreichen“ Folgen der Maler steht. Ob er allerdings ein Maler ist oder nicht – er selbst ist sich nicht wirklich sicher. Besonders wenn er sich umschaut, wer sonst noch als Maler gilt. Hingezogen fühlt sich Baselitz zur Volkskunst im Sinne von Authentizität und handfester Handwerklichkeit, an der er nicht zuletzt eine ästhetische Ausstrahlung schätzt. Das Intellektuelle in der Malerei ist Baselitz suspekt, obwohl er eigentlich als intellektueller Maler zu kategorisieren wäre, denn seine scheinbar naiv daher kommenden Kunstwerke sind voller Zitate und Anspielungen, die auf einen ausgereiften kunsthistorischen Hintergrund verweisen, mit dem der Künstler bewusst zitathaft spielt.
Wer eine Antwort auf Baselitz und seine Kunst finden möchte, sollte sich auf die überwältigenden Werke einlassen. Auf die überwältigende Präsentation in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle, die die Hüllen ihrer großen Halle hat fallen lassen, um dem Betrachter auf 2000 Quadratmeter zu ermöglichen, was die Bilder und Skulpturen von Baselitz fordern: Raum, grenzenlosen Raum und riesige Sicht-Achsen. Und die Faszination der Kombinatorik. Skulptur und Malerei scheinen in einen Dialog zu treten; sie eröffnen eine neue Dimension, in der wir als Betrachter willkommen sind und in geradezu postmodernem Sinne aufgefordert zu sein scheinen, das Kunstwerk weiterzudenken, in immer neuem Maßnehmen für einen Moment in die Rolle des Künstlers im Atelier zu schlüpfen und den eigenen Standpunkt der optimalen Betrachtung zu finden. Selbst Bundeskanzler Gerhard Schröder ließ es sich nicht nehmen, diese Retrospektive persönlich zu eröffnen.
Der Besuch der Kunst- und Ausstellungshalle sollte mit der Ausstellung „Photokontakt.Benjamin Katz: Georg Baselitz“ begonnen und idealerweise im gegenüber liegenden Haus der Kunst auf den Spuren der Stadtbilderserien von Baselitz abgerundet werden. Auch Ausstellungen sehen ist eine Kunst!
PETRA ROTTHOFF
Bilder, die den Kopf verdrehenGeorg Baselitz – Eine RetrospektiveKunst- und Ausstellungshalle, Bonnbis 8. August 2004
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