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Das Migranten-Wirtschaftswunder

Deutsche sind Gründer-Muffel – im Gegensatz zu den MigrantInnen. Das zeigt eine jetzt veröffentlichte Studie. Ob Not oder Tugend sie in diese Selbstständigkeit treibt, weiß aber niemand. Türkische Unternehmer beklagen mangelnde Unterstützung

„Die Banken haben immer noch Angst, dass wir wieder abhauen“

aus Berlin ARMIN SIMON

Die Bereitschaft zum Sprung in die Selbstständigkeit ist bei MigrantInnen deutlich höher als bei Deutschen. Zu diesem Schluss kommt eine jetzt veröffentlichte Studie der Deutschen Ausgleichsbank (DtA), für die 40.000 hier lebende Erwerbstätige befragt wurden. Demnach haben sich 5,4 Prozent der Befragten ausländischer Herkunft im letzten Jahr selbstständig gemacht – zweieinhalb mal so viel wie unter den deutschen Befragten. Annähernd 7 Prozent der MigrantInnen planen eine Existenzgründung in den nächsten sechs Monaten, bei den Befragten deutscher Herkunft sind es nur 2,5 Prozent. „Die ökonomische Bedeutung von MigrantInnen wird vielfach unterschätzt“, sagte der parlamentarische Staatssekretär Rezzo Schlauch (Grüne) gestern bei einem Forum der DtA. Noch liegt die Selbstständigenquote der in Deutschland lebenden MigrantInnen mit 8,4 Prozent unter der der Deutschen. Reinhold Stratmann von der DtA macht jedoch eine „sehr große Dynamik“ aus. Ob größerer Mut oder die schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt dafür verantwortlich sind, ist strittig.

Unstrittig ist hingegen, dass ausländische ExistenzgründerInnen mit höheren Hürden als ihre deutschen KollegInnen zu kämpfen haben: mangelnde Beratung, Hindernisse wie Handwerksordnung und Aufenthaltsrecht, Sprachprobleme und nicht zuletzt Schwierigkeiten bei der Finanzierung.

Insbesondere die Hausbanken, so Stratmann, seien oft zögerlich mit der Kreditvergabe an GründerInnen ausländischer Herkunft. „Die haben immer noch Angst, dass wir wieder abhauen“, sagt Ahmet Güler, Vorsitzender des Bundes türkisch-europäischer UnternehmerInnen. Schlauch kündigte an, die Bundesregierung werde noch in diesem Jahr die ersten Service-Center für ExistenzgründerInnen einrichten und die Hausbanken „in die Pflicht nehmen“.

Die Volkswirtschaftlerin Birgit Buschmann vom Institut für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim wollte mit dem Niedriglohn-Image der selbstständigen MigrantInnen aufräumen. Es gebe einen Trend „hin zu modernen Dienstleistungen“, 12,4 Prozent der ausländischen ExistenzgründerInnen verdienten bereits mehr als 3.000 Euro im Monat.

Güler sah das weniger positiv. So liege das Einkommensniveau türkischer Selbstständiger zwar über dem der abhängig beschäftigten TürkInnen, nach wie vor aber deutlich unter dem deutscher Selbstständiger. „Quatsch“ sei es auch, wie Buschmann Niederländer, Österreicher und Türken in einen Topf zu werfen, wetterte Güler. EU-BürgerInnen hätten schließlich überhaupt keine Probleme, sich hierzulande selbstständig zu machen. Die 400.000 türkischen UnternehmerInnen aber würden vom Staat meist allein gelassen. Ihre Verbände dürften bei der Konzeption staatlicher Förderprogrammen nicht mitreden, das Beratungsangebot für ExistenzgründerInnen sei mangelhaft. Für sie gelte immer noch: „Der beste Berater ist der Nachbar – oder der, der zuvor einen Dönerladen aufgemacht hat.“

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