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Letzter Ausweg Tod

Irina Pabst ist tot. Ohne die 76-Jährige hätte es keine Aids-Gala in Berlin gegeben. Doch hinter all dem Glamour der Charity-Lady und Freundin von Friede Springer verbarg sich eine einsame Frau

VON WALTRAUD SCHWAB

Wie ist die Gegenwart, aus der sich jemand nur noch durch den freiwilligen Tod verabschieden möchte? Nach allem, was bisher bekannt ist, hat die tief religiöse Irina Pabst diesen Weg selbst gewählt.

Irina Pabst wurde in der Öffentlichkeit vor allem als Society-Ikone gehandelt: Charity-Lady, Aids-Gala-Patronin – das sind die Stichworte, mit denen sie in den Medien zum sozialen Aushängeschild der Berliner Schickeria gemacht wurde. Pabst, beste Freundin der Verlegerin Friede Springer, verband High Society und Jetset mit gutem Zweck. Das Überkandidelte wurde dabei von der Presse, aber auch von ihr selbst zelebriert. Abgebildet wird sie als eine, die jede Natürlichkeit in einem überschminkten, alterslosen Augenaufschlag erstickt.

Hinter so viel Maskerade versteckte sich eine andere Person. Vor 15 Jahren nämlich, auf dem Höhepunkt der Aidshysterie, ging Irina Pabst ins Auguste-Viktoria-Krankenhaus, wo viele Aidskranke lagen, und fragte, „ob jemand da ist, an dem ich Freude hätte und vor allem, der an mir Freude hat“. So drückt sie sich in einem ihrer seltenen und vermutlich dem letzten Interview aus, das sie gegeben hat (siehe taz vom 1. 12. 03).

Ein junger, aidskranker Arzt namens Hans ließ sich schließlich auf das Angebot von Irina Pabst ein. Fast täglich hat sie ihm bis zu seinem Tod drei Jahre später Gesellschaft geleistet. Nicht als Patin, sondern als Freundin, meint sie.

Danach hat sie weitere Kranke betreut. Wann immer sie konnte, ist sie zu ihnen gefahren. Ein Geben und Nehmen sei es. „Aufrichtige Zuneigung“ bekam sie von ihnen. Vermutlich auch Hoffnung und Lebensmut.

Irina Pabst hat nicht gerne über sich gesprochen. Nachfragen machten deutlich, wie fragil die Frau hinter dem geschminkten Gesicht ist. Wenn sie über den Tod der Aidskranken sprach, verband sie diese Erfahrung mit dem Tod ihres Mannes. Wenn sie über die Einsamkeit der Aidskranken reflektierte, schöpfte sie aus einer Tiefe, die auf sie selbst verwies. Wurde sie jedoch gefragt, ob sie Einsamkeit selbst kennen gelernt habe, wehrte sie ab. „Nein, nein, nein. Ich war ja nicht einsam. Ich hatte Axel und Friede Springer.“

Eine Frau ihres Standes darf nicht einsam sein. Eine Offizierstochter darf durch den Krieg nicht traumatisiert worden sein. Eine Frau ihrer Klasse darf auch nicht alt sein. Erst mit der Todesnachricht ist zu erfahren, dass sie 76 Jahre geworden ist. Gleichzeitig aber war Irina Pabst stolz darauf, dass sie sich um Konventionen nicht scherte. Zumindest legt das Interview, in dem sie sich ungewöhnlich offen zeigte, all dies nahe.

Irina Pabst wurde 1928 als Irina von Udinzoff in Berlin geboren. Ihr Vater, Absolvent der russischen Militärakademie, hatte gegen die Bolschewisten gekämpft und war zum Tode verurteilt worden. Er konnte jedoch unter falschem Namen mit seiner Frau aus Russland fliehen. Eigentlich wollte die Familie nach Paris, aber sie strandete in der deutschen Hauptstadt.

Nach dem Krieg wollte Irina von Udinzoff Schauspielerin werden, und in den Fünfzigerjahren machte sie auch eine kurze Karriere als solche. Sie gab ihren Beruf schon 1955 wieder auf, als sie ihren Mann, Pierre Pabst, heiratete. Er war Chef des Zentrallektorats im Axel Springer Verlag und Springers bester Freund. Sie wurde eine Dame der Gesellschaft. Den Tod ihres Mannes 1976 konnte sie kaum verwinden. „Ich war zerbrochen am Tod meines Mannes“, sagte sie.

Ende der Achtzigerjahre begann Irina Pabst ihre Wohltätigkeitsarbeit mit Aidskranken. Bedürftigen zu helfen sei Teil ihrer Erziehung gewesen, erzählte sie. Das habe sie so gelernt. Es habe keinen besonderen Grund gegeben, warum sie eines Tages ins Auguste-Viktoria-Krankenhaus gefahren sei. Sie hätte auch zu Obdachlosen gehen können, aber auf dem Bahnhof, das sei für eine allein stehende Frau schwierig. Der Satz macht deutlich, dass es doch nicht so leicht ist, Konventionen zu durchbrechen.

Vor zehn Jahren initiierte Irina Pabst zusammen mit anderen die erste Aids-Gala in der Deutschen Oper. Mittlerweile ist die Operngala eines der größten und wichtigsten Gesellschaftsereignisse in Berlin. Irina Pabst, die für ihr Engagement für Aidskranke auch das Bundesverdienstkreuz erhielt, war die Frontfrau des Festes. Mehr als 400.000 Euro Erlös konnten der Deutschen Aidsstiftung nach der letztjährigen Feier überwiesen werden.

Irina Pabst war eine viel beschäftigte Frau. Um die Sponsoren für die Operngala zusammenzubekommen, bedarf es engagierter Lobbyarbeit. Dazu kam noch, dass sie versuchte, auch in Leningrad eine Aids-Gala auf die Beine zu stellen.

Unentwegt klingelte ihr Telefon. Mit großer Geste nahm sie den Hörer ab und begrüßte jeden, auch die Unbekannten, mit: „Hallo, Liebling, selbstverständlich, Liebling, das machen wir. Rufen Sie mich an, Schatz.“ Man mag sie deswegen belächelt haben. Trotzdem, es war schön, es zu hören und gemeint zu sein. Sie hat ihre überbordenden Gefühlsausbrüche auf ihre russische Seele geschoben.

Schwer zu sagen, ob sie Todessehnsucht hatte. Den Tod selbst hat sie sich nicht als etwas Schreckliches vorgestellt, sondern als ein Hinübergleiten in eine andere Welt. Auch für sich. Ihre Zeit sah sie als „bald abgelaufen. Ich sehe ja alle bald wieder“, hat sie gesagt. Alle, das sind ihr Mann, ihre Eltern, die Brüder, Axel Springer, die Aidskranken, die Freunde. „Ich bin ohne Familie“, erklärte sie. Für eine, der die Familie wichtig war, heißt das: „Ich bin allein.“

Zurück bleiben die Lebenden, die mit dem Tod umgehen müssen. „Ich selbst verliere eine persönliche Freundin“, sagt Klaus Wowereit. Das mag flott dahergesagt sein, sicher aber ist: Berlin verliert eine bemerkenswerte Frau, die Verantwortung übernommen und Solidarität mit Benachteiligten gezeigt hat in einer Zeit, in der „Entsolidarisierung in der Gesellschaft politisch forciert wird“.

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