: Politik für Fußgänger
Ob die Pflege gebrauchter Schuhe in Zukunft wieder gefragt sein wird? Mit den Bedingungen des öffentlichen Raums beschäftigt sich Nasan Tur im Kunstraum Tanas
„Kunst im öffentlichen Raum“ ist ein großes Wort, politische Demonstration im öffentlichen Raum eine gewaltige Anstrengung. Beides interessiert Nasan Tur. Seine Performances und Leuchtschriftinstallationen greifen die Agitationsformen des Politischen auf und verändern dabei ein wenig den Blick auf die Inszenierungsformen des Protestierens, Forderns und Bekennens. „Time for Revollusion“ schreibt in einer großen Fotografie Turs ein Sprayer auf eine Wand, und was in der Schreibweise zuerst wie ein Verrutschen zwischen verschiedenen Sprachen wirkt, kann auch die unterschwellige Koppelung von „Revolution“ und „Illusion“ bedeuten. So arbeitet Nasan Tur mit Witz und einer poetischen Leichtigkeit, die den großen Gesten und großen Behauptungen den Boden unter den Füßen entzieht.
In seiner ersten Berliner Einzelausstellung im Kunstraum Tanas, die „Komunismus Soziallismus Kapietalismus“ heißt, hängt als „Selbstporträt“ eine Fotografie seines deutschen Personalausweises. Nasan Tur, 1974 in Offenbach am Main geboren, hat sich für sein Passfoto extra einen Schnurrbart wachsen lassen und beschreibt in einem kurzen Wandtext die doch sehr spürbaren Reaktionen auf diese Turkifizierung. Er studierte Kunst in Offenbach und Frankfurt und ist seit fünf Jahren europaweit an vielen Ausstellungen beteiligt. Für Berlin, wo er inzwischen lebt, ist er trotzdem eine Entdeckung.
„Somersaulting Man“ (2001–2004) heißt eine vierteilige Videoarbeit, die zuerst etwas touristisch anmutet, sieht man doch Parks und den Eifelturm von Paris, den Frankfurter Flughafen, Plätze in Tokio und Istanbul, stets belebt von vielen Menschen. Erst nach einer Weile erfasst das Auge, dass sich überall, fast nicht beachtet von den Passanten, in grader Linie ein Mann mit Purzelbäumen durch das Bild bewegt: eine sehr schlichte Performance, grade unterhalb der schnellen Kategorisierung als Kunst und doch sehr wirksam im Ausprobieren der Normalität und der Dehnbarkeit ihrer Grenzen.
Eine Serie von 15 Fotografien (2006) zeigt einfach hochgestreckte Hände, vergrößert und grob gerastert, deren Gesten man automatisch der Rhetorik politischer Redner zuordnet. Sie stechen heraus, unterstreichen Behauptungen, packen zu. Nur macht aus ihnen eine Typologie des öffentlichen Auftritts der Mächtigen. Im gleichen Raum liegen seine „backpacks“, die jeweils zu einem Bündel geschnürt das Instrumentarium derer zeigen, die sich ihren Raum und ihre Bühne erst erkämpfen müssen. Die Rucksäcke sind jeweils für eine in der Öffentlichkeit auszuübende Funktion ausgerüstet, mit Megafon und Sprühdose für die Demonstration, mit Fahnen und Tröten für Fans, aber auch mit Fernglas, Taschenlampe und Zangen für die Sabotage.
Bei all diesen Arbeiten zeigt Nasan Tur ein großes Gespür für die Bewegung im doppelten Wortsinn, für den körperlichen Ausdruck sowohl wie die politische Intention. Selbst Botschaften zu platzieren oder bestimmte Ideologien zu kritisieren scheint dabei viel weniger sein Anliegen zu sein, als vielmehr das Bewusstsein für die Choreografien des Öffentlichen zu schärfen, um darin nach Möglichkeiten jenseits der bekannten Positionen zu suchen. Von Bewegung sind sogar die Männer-Schuhpaare geprägt, die bei Tanas mehrfach auf niedrigen Podesten stehen, bescheiden in den Raumecken, alt, abgelatscht, mit heruntergetretenen Kappen und doch von Schuhputzern heftigst poliert, um ihrem Titel „Like New“ gerecht zu werden.
Wer weiß, vielleicht lernen wir bald alle unsere Schuhe wieder mehr zu pflegen, damit sie länger halten. Der Sympathie von Nasan Tur können wir uns dann sicher sein.
KATRIN BETTINA MÜLLER
Tanas, Heidestr. 50, Di–Sa 11–18 Uhr, bis 14. Februar
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