: Globales Dorfradio
Das Funkhaus Europa feiert heute fünften Geburtstag. Stargast im Sender ist Cherno Jobatay. Der erklärte Multi-Kulti-Sender wird von Radio Bremen und WDR 5 finanziert. Thema: Migration
Bremen taz ■ Erst waren es ja nur ein paar strebsame Mittelmeer-Menschen, die vorübergehend unser Bruttosozialprodukt steigern und dann wieder heim geschickt werden sollten. Sie lebten so brav in ihren Gettos am Rande der Industriezonen, dass schon 1964 die ARD ein Dankesgeschenk beschloss – und mit türkischen, italienischen und serbo-kroatischen Gastarbeitersendungen den Ausländern „eine Brücke zur Heimat“ baute, wie es damals hieß.
Aber irgendwie wollten sie dann diese Brücke gar nicht mehr, sondern lieber am gesellschaftlichen Reichtum teilhaben, den sie mitproduzierten. Und sie blieben einfach da. Integration ist seither gefragt. Kulturdolmetscher müssen her. Beispielsweise ein eigener Rundfunksender. Schließlich sind auch Einwanderer Gebührenzahler.
Als Brücke zum Leben in Deutschland versteht sich seit dem 5. Mai 1999 das Funkhaus Europa, eine überregionale Rundfunk-Ehe von Radio Bremen und dem WDR in Köln, die ein ganztägiges Magazin-Radio-Programm gebar, das die ethnische Vielfalt des Sendegebietes widerspiegelt: Mehr als 100 Nationen prägen den Alltag zwischen Rhein und Weser.
Der fünfte Geburtstag des Funkhaus Europa wird heute gefeiert. Mit Stargast Cherno Jobatay, der ab 15 Uhr zu erzählen hat, wie das so war, als erster Farbiger 1992 im öffentlich-rechtlichen Mediensystem beim ZDF-Morgenmagazin zu moderieren. Ansonsten werden auch heute wieder Berlins Radio Multikulti, die BBC in London, Rai Uno in Rom, Radio France in Paris diverse Sendungen in 17 verschiedenen Sprachen zusammenmixen und von 18 bis 22 Uhr ausstrahlen. Von 7 bis 18 Uhr ist das Magazin-Programm deutschsprachig. Themenschwerpunkt: Europa und Migration. Musikfarbe: Globale Dorfmusik. Also Klänge der Metropolen, wo das Aufeinanderprallen diverser Kulturen mehr Kreativität als Abgrenzungslust freisetzt.
Federführend fürs Funkhaus Europa ist WDR 5, aber 42 Prozent des Programms entstehen unter Anleitung von sechs RedakteurInnen bei Radio Bremen. Der Sender trage auch ein Drittel der Kosten fürs Funkhaus Europa, berichtet Programmleiterin Marion Gerhard. Laut der letzten Media-Analyse erreicht das Programm 1,1 Prozent der Bremer Hörer, das Nordwestradio beispielsweise nur 0,8 Prozent. Gerhard: „Laut einer Erhebung in Nordrhein-Westfalen hören dort 20 Prozent aller Ausländer Funkhaus Europa.“ Vergleichszahlen für Norddeutschland gebe es leider nicht.
Für die Zukunft erwartet Gerhard, dass die Sendungen allesamt in Deutsch produziert werden. Schon jetzt würden viele Magazine zweisprachig und musikorientierter über den Äther gehen, um die Lebensrealität der dritten Einwanderer-Generation zu treffen.
Was sich sonst verändert hat, beschreibt Moderator Birand Bingül als die „Funkhaus-Europa-Matrix“. Shortcuts. „Ich sehe, wie in der vollen Bahn ein junger Ausländer von seinem Sitz aufspringt und Platz macht für eine älteren deutsche Dame. Schnitt. Eine junge deutsche Autofahrerin fragt einen alten, knorrigen Türken nach dem Weg. Er erklärt ihn ihr, in gebrochenem Deutsch. Schnitt. ,Simit, taaaze simit!‘, rufen drei deutsche Schulmädchen im Bus, die Sesamring-Verkäufer in der Türkei imitierend. Akzentfrei. Schnitt.“ Und das Funkhaus Europa liefert den Soundtrack dazu: für den Prozess der europäischen und deutschen Integration. fis
Funkhaus Europa ist über den ASTRA-Satelliten und in Bremen/Bremerhaven auch auf UKW zu hören (96,7/92,1 MHz), von 19 bis 22 Uhr ebenfalls in Niedersachsen über Mittelwelle (702 KHz, 792 KHz, 828 KHz). Und natürlich ganztägig im Internet (www.wdr5.de/funkhauseuropa/) per Live-Stream.
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