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Die Apokalypse bleibt aus

An der Komischen Oper hatte György Ligetis „Le Grand Macabre“ Premiere: Der Inszenierung gelingt es, das Burleske etwas auszubügeln und den Parabelcharakter des Stücks zu wahren

von BJÖRN GOTTSTEIN

„Du wagst es zu sterben“, empört sich die Hexe Mescalina über den Tod ihres Mannes, um sogleich ein Klagelied anzustimmen: „Wer soll jetzt die Betten machen?“ Das Leben zählt nicht viel in Breughel-Land, in dem vor allem moralische Fragwürdigkeit und politische Absurdität walten. Regiert wird Breughel-Land von einem wankelmütigen Fürsten und seinen verlogenen Ministern, die sich etwa darüber streiten, welches der drei Berliner Opernhäuser sie nun in die Luft jagen werden. Der Verlust scheint also erträglich, als der Große Makabre, Nekrotzar, dem Grab entsteigt und einen Kometeneinschlag prophezeit, der Breughel-Land pünktlich um Mitternacht vernichten wird.

Ligetis „Le grande macabre“ ist eine wüste Groteske: Ein Stück, in dem noch jede Szene von meckerndem Humor und höhnischem Spott begleitet wird. Das Stück entstand in den Siebzigerjahren, zu einer Zeit, als sich sonst nur Leichtgewichte wie Hans-Werner Henze dem Dünkel bürgerlicher Restauration, das auf der Gattung lastete, hingaben. Für einen Avantgardisten wie György Ligeti war die Oper mit einem Tabu versehen. Eine traditionelle Oper habe er nicht schreiben können, erklärte Ligeti, eine Anti-Oper nicht schreiben wollen. Weshalb das Stück schließlich eine Anti-Anti-Oper geworden sei.

Also hat Ligeti den Sängern etwas zu singen gegeben, ein Orchester in den Graben verfrachtet und eine Geschichte mit wilden Bildern auf die Bühne gebracht. Das possenhafte Stück mit seinen ständigen Attacken auf den guten Geschmack bietet reichlich Gelegenheit für Grimasse, Satire und Karikatur. In der Vergangenheit haben Regisseure Breughel-Land wiederholt als Sinnbild Amerikas oder Deutschlands entstilisiert. Und derart triviale Kontextualisierungen führten dazu, dass Ligeti, der erst kürzlich achtzig Jahre alt geworden ist, das Stück schließlich für gescheitert erklärte. Für die jüngste Inszenierung des Stücks, die am Sonntagabend in der Komischen Oper Premiere feierte, hat Barrie Kosky auf einen derartigen Kunstgriff verzichtet. Auf der umrisshaft kühl ausgestatteten Bühne wird das grell Burleske zunächst ausgebügelt und der Parabelcharakter der Erzählung gewahrt.

Nur lässt sich eine Groteske ohne Fratzen allerdings nicht denken. Und das nüchterne Bühnenbild wird deshalb von literschweren Speichelsalven, vor Blut triefenden Eingeweiden und einer appetitlich vor Fäkalien überquellenden Toilettenschüssel konterkariert. Penetrant und schließlich langweilig sind vor allem die sexuellen Ausfälle, die die Grenze zur Pornografie mehr als einmal überschreiten. Zunächst ist es noch ganz amüsant, wenn das Dröhnen der Bassstimme zur erotischen Stimulans herabgewürdigt wird. Wenn aber keine zwei Menschen miteinander reden können, ohne sich gegenseitig an den Genitalien herumzufummeln, lässt sich das als tiefenpsychologische oder meinethalben auch medienkritische Wendung kaum mehr legitimieren. Explikation und Drastik haben eben auch immer etwas mit Verarmung zu tun.

Man hätte sich von derartigen Übergriffen eher überzeugen lassen, wenn die Musik sie mitgetragen hätte. Aber die Partitur ist eher zurückhaltend geraten. Zwar verzichtet Ligeti nicht auf plakative Gesten: der Chor bangt, der Fürst deklamiert. Und gelegentlich verkantet er den polyindividuellen Raum des Ensemblegesangs auch gekonnt zur rauen Collage. Aber das Orchester bleibt ständig im Hintergrund: ein schwebender Akkord hier, ein kurzes Trommelfeuer dort. Und auch wo Ligeti die Musik einmal entfesselt, indem er ein disproportioniert besetztes Quintett zum Totentanz aufspielen lässt und die Harmonik mit dem Tritonus, dem Diabolus in musica, tränkt, kommt er über eine lange Nase nicht hinaus.

Von den vielen Effekten und zum Teil sehr schönen Regieeinfällen ist am Ende das meiste also genauso verpufft wie die Drohung des Weltuntergangs, mit der Nekrotzar sich über die Masse erhoben hatte. Die Apokalypse bleibt aus. Stattdessen gleitet zum Schluss das Relief einer modernen Stadt auf die Bühne herab – eine enigmatische Wendung, die man wohl als Hoffnungsschimmer einer neuen Welt verstehen können soll. Von einem bezaubernden, grün-silber glitzernden Fischflossenballett begleitet, beschwören die Sänger die Liebe, das Leben, die Ewigkeit. Man bleibt ein wenig ratlos zurück; dass es keinen Spaß gemacht hat, kann man nicht behaupten. Applaus für alle Beteiligten, vor denen man wohl die Sänger, die so herzlich und gekonnt „unschön“ gesungen haben, hervorheben sollte.

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