: Muntere Tierchen im Teppich
Bücher für Randgruppen: Bernhard Klausnitzer erzählt in einem herzerwärmenden Buch vom Leben der Käfer
Das Sammeln von Käfern ist eine bizarre Leidenschaft. Einer der bekanntesten deutschen Hobby-Koleopterologen war der besonders im hohen Alter immer käferähnlicher werdende Ernst Jünger. Er weist gewisse Ähnlichkeiten zum Eichenrüsselkäfer auf, der mit einer Abbildung in der Neuauflage des opulent bebilderten Werkes „Die Wunderwelt der Käfer“ zu finden ist.
Gelegentlich krabbelt ein schwarzer winziger Käfer an der Wand hinter meinem Schreibtisch hoch, um dort in Augenhöhe tagelang regungslos zu verharren. Entsorge ich ihn, sitzt Wochen später genau an der gleichen Stelle ein Stellvertreter. Ist es ein böser Käfer, ein Schädling, der sich von wertvollen Büchern und Teppichen ernährt? Oder ein harmloses, 300 Millionen Jahre altes Urinsekt wie das muntere Silberfischchen?
Es wäre schade, wenn das Käferbuch von Klausnitzer zwischen feindliche Kiefer käme, denn es bietet ausgesprochen interessante Lektüre, ansprechend bebildert. So bizarr, wie Käfer zu sammeln und aufzuspießen – übrigens offensichtlich nicht durch die Mitte, sondern durch die rechte Flügeldecke –, mutet heute die Maikäferbouillon an, noch im 19. Jahrhundert in exquisiten Restaurants in Frankreich serviert. Der rote Marienkäfer mit den schwarzen Punkten dagegen fand sich in der mittelalterlichen Apotheke als Zahnnarkotikum. Der Verwendung von Käfern in Volksmedizin, Küche und Aberglauben ist ein Kapitel im Werk gewidmet wie auch den Merkmalen der äußeren Gestalt, dem Käfer als Kunstmotiv und den unterschiedlichen Aspekten seiner Biologie und Lebensräume.
Naturwissenschaftliches und Kulturgeschichtliches werden elegant im Wechsel behandelt und ebenso in Beziehung gesetzt. Dabei spielt die Auswahl der Farbabbildungen eine nicht unwesentliche Rolle. So ähneln die Rückschilde der tropischen Schildkäfer aus Südamerika kostbaren Schmuckstücken, und es nimmt nicht wunder, dass sie, eingefasst in Silber, als Schmuckkollier Verwendung fanden. Ähnlich schön und etwas unheimlich muss wohl auch der metallisch glänzende Käfer ausgesehen haben, den Edgar Allan Poe in seiner Erzählung „Der Goldkäfer“ von 1843 am Faden durch die Augenhöhle eines Schädels fallen lässt.
Neben chemischen Giften und Insekten vertilgenden Tieren ist der wohl größte Feind des Käfers der Autoverkehr. So hat ein findiger Kopf vor 25 Jahren errechnet, dass in Österreich pro Jahr 14.000.000.000.000.000 Insekten, darunter zahlreiche Käfer, Opfer des Straßenverkehrs wurden. Insgesamt scheinen Käfer dem Menschen nicht so ans Herz gewachsen zu sein wie beispielsweise Schmetterlinge. Die artenreichste Tiergruppe der Welt ist dem Menschen immer recht fremd geblieben. Ob als Skarabäus-Kopf des ägyptischen Gottes Re-Harachte oder als verwandelter Beamter bei Kafka – richtig familiär wird es mit Käfern wohl nie. Doch bei der Lektüre dieser liebevoll gestalteten Kultur- und Naturgeschichte erwärmt sich das Herz: Ein kleiner schwarzer Käfer, der mich lange stumm beobachtet hat, wird sanft auf einem Papier durch das Fenster auf die Straße befördert. WOLFGANG MÜLLER
Bernhard Klausnitzer: „Wunderwelt der Käfer“. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2002, 238 S., 49,95 €
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