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„Der Teufel wird dich holen!“

Sektenexperten warnen vor Satanismus, Vergewaltigungssekten und esoterisch verbrämtem Rechtsradikalismus in Hamburg. Vorwurf: Jugendämter und Verfassungsschutz ignorieren gefährliche Entwicklungen immer noch weitgehend

Von Marco Carini

„Täglich“, so sagt Ursula Caberta von der Arbeitsgruppe Scientology der Innenbehörde, erhalte sie Besuch von „verzweifelten Menschen“, deren Angehörige in die Fänge gefährlicher Sekten geraten seien. Männer, die bei der Arbeitsgruppe Hilfe suchen, weil ihre Ehefrauen den Großteil ihrer Zeit „mit Engeln channeln“ – also kosmische Kontakte pflegen würden –, seien ebenso ständige Gäste wie Hamburger, deren Verwandte sich satanistischen Gruppen verschrieben hätten.

Doch trotz dieser Warnzeichen werde die Gefahr, die von gefährlichen Sekten ausgehe, in der Hansestadt unterschätzt: „Bei Jugendämtern finden solche Probleme keine Berücksichtigung, obwohl Kinder, die in Familien aufwachsen, die sich solchen Gruppen angeschlossen haben, oft schwer verhaltensgestört sind“, weiß Caberta aus Erfahrung.

Eine gestern präsentierte neue Broschüre der Arbeitsgruppe Scientology mit dem Titel „Brennpunkt Esoterik“ warnt deshalb vor allem vor Okkultismus, Satanismus und rechtsradikalen Organisationen, die sich ein esoterisches Mäntelchen umgehängt haben.

Besonders gefährlich, so Ko-Autor Ingolf Christiansen, sei ein sich ausbreitender „krimineller Pseudosatanismus“, unter dessen Mantel oft auch der sexualisierte Missbrauch von Kindern abgewickelt werde. Nach dem Motto „Der Teufel wird dich holen“ würden die Opfer geängstigt, während die Täter, wenn sie denn gefasst würden, sich auf einen höllischen Befehlsnotstand beriefen: „Satan hat es mir so befohlen.“

„Es gibt Täter, die sich einen größeren sexuellen Kick versprechen, wenn das Missbrauchsszenario in einem mythischen und rituellen Ambiente stattfindet“, weiß Christiansen. Besonders gefährlich sei die in Bergen in der Lüneburger Heide beheimatete Thelema Society, der bereits mehrfach Vergewaltigungen und Folterungen juristisch nachgewiesen werden konnten.

Beunruhigend ist für Christiansen, dass besonders Jugendliche dem Satanskult huldigten. Etwa ein Prozent aller Schüler sind nach seinen Beobachtungen bekennende Satanisten.

Der zweite Schwerpunkt der Esoterik-Broschüre liegt bei rechtsradikalen Gruppen, die auf dem Eso-Ticket neue Mitglieder werben würden. „Esoterik ist eines der gefährlichsten Einfallstore für rassistische, antisemitische und rechtsradikale Ideologien“, sagt Dr. Rainer Fromm, Mitautor der Broschüre. Skin-Gruppen würden sich heute bereits die „esoterische Tarnkappe“ überwerfen, um unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit ihren Aktivitäten ungestört nachzugehen. Deshalb dürfe, so Fromm, der Verfassungsschutz seine Augen vor solchen Entwicklungen nicht länger verschließen.

„Brennpunkt Esoterik“ gibt es gratis bei der Arbeitsgruppe Scientology der Innenbehörde, ☎ 428 86 64 44

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