: Die neue Heimat des Mittelstands
Dübeln, schrauben, malern: Die Baumärkte boomen, weil alle sparen.Aus spartanischen Hallen werden erlebnisorientierte Einkaufscenter
VON LARS KLAASSEN
Frohe Kunde in schwierigen Zeiten: Die Baumärkte boomen. Laut Statistischem Bundesamt haben sie im Jahr 2003 rund 4,3 Prozent mehr Umsatz gemacht als im Vorjahr. Innerhalb des Einzelhandels sollen sie auch langfristig ein Wachstumsmarkt bleiben, obwohl die Branche eigentlich in der Krise steckt. 2003 wurden laut Hauptverband des Deutschen Einzelhandels mit 50.000 Stellen mehr Jobs als je zuvor gestrichen. Starke Umsatzeinbußen waren die Begründung. Während 58 Prozent der Einzelhändler in einer Umfrage ihre aktuelle Geschäftslage als schlecht einschätzten, frohlocken die Baumärkte: Im vergangenen September vermeldete etwa Hornbach ein Umsatzplus von 21,5 Prozent auf die Rekordhöhe von 1,1 Milliarden Euro.
Aber der Erfolg hat seinen Preis. Jedenfalls für Traditionalisten und Puristen. Denn Baumärkte sind nicht mehr das, was sie mal waren. Die Welt der Spanplatten, Bohrmaschinen und Dübel hat sich zur Shoppingzone ausgewachsen. Aus spartanisch mit Regalen bestückten Hallen sind Einkaufscenter mit Anspruch auf Ambiente geworden. Baumärkte sind jetzt auch Gartencenter, verkaufen Möbel und diverse Accessoires. Das zieht neues Publikum an. Heimwerker, Handwerker und gestandene Kerle mit Hang ins Praktische sind dort nicht mehr unter sich. Frauen sind in die Männerdomäne vorgedrungen
„Der Anteil an Frauen bei den Besuchern unserer Filiale hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen“, berichtet ein Marktleiter der Kette OBI. „Viele übernehmen heutzutage selber die Initiative, wenn es ums Renovieren der eigenen vier Wände geht.“ Selbst ist die Frau. Aber die Märkte zielen auch aufs feminine Gemüt ab. „Nähservice“, „Kreativabteilung“ und „Boutique“ sind feste Bestandteile in den Filialen der großen Ketten. Das Erlebniskonzept funktioniert: „Ich gehe oft einfach mal zum Gucken in den Baumarkt“, erzählt Martina Janning. „Aber ich komme selten wieder heraus ohne nicht mindestens 20 Euro ausgegeben zu haben.“
Doch auch das vermeintlich starke Geschlecht kommt nicht zu kurz. Zu den „Heimwerkerabenden“, so der Marktleiter, kämen vor allem Männer. Diese Veranstaltungen werden im Vorfeld mit Plakaten im Eingangsbereich angekündigt – und locken regelmäßig die Kundschaft zu Themen wie „Laminat verlegen“. Dabei gibt es einen einführenden Vortrag sowie eine Vorführung. Anschließend dürfen die interessierten Nutzer zur Probe auch mal selbst Hand anlegen.
Das steigende Interesse an Tricks und Tipps für Heimwerker erklärt Rainer Horsmann von pw-Internet ökonomisch: „Da haben wir zum einen die Kostenexplosion im Handwerk.“ Die finanzielle Flaute im eigenen Geldbeutel verschärft diese Entwicklung. Symptomatisch sei, dass immer mehr Heimwerker so genannte Ausbauhäuser bauen, bei denen alles selber gemacht werde. Und weil man dabei schnell mit ungeahnten Problemen konfrontiert wird, hat pw-Internet das Portal www.baumarkt.de aufgebaut.
Unabhängig von Verkaufsketten oder anderen Firmen wird dort Wissenswertes über jede Form des Handwerks zum Besten gegeben. Häuslebauer und Bastler fragen sich in den Foren gegenseitig um Rat oder geben Tipps. Die Zahl der jährlichen Besucher hat sich von 1999 bis 2003 auf 270.000 mehr als verzehnfacht. Doch nicht nur die Geldnot treibe die Leute an den Werkzeugkasten: „Seit im Fernsehprogramm immer mehr Ratgebersendungen dazu laufen, werden viele animiert, Hand anzulegen, die früher nie auf die Idee gekommen wären.“
Beim Konkurrenz-Portal www.heimwerker.de sieht man die steigende Besucherquote im direkten Zusammenhang mit dem Sparkurs an allen Enden: „In den ohnehin nicht allzu guten Zeiten arbeiten die Baumärkte hart am Preis, aber das führt auch dazu, dass es mancherorts am Personal fehlt für die Beratung“, sagt Markus Kimmel, Geschäftsführer der Marketing Factory. Das Unternehmen hat 1.111 Besucher seines Heimwerkerportals gefragt, wer sie eigentlich sind. Die große Mehrheit (45 Prozent) wohnen im Eigenheim mit Garten. Jeder Fünfte wohnt zwar zur Miete, hat aber ebenfalls einen Garten. Einsam ist der gemeine Heimwerker nicht. Die Zwei-, Drei- und Vierpersonenhaushalte sind mit 28, 27 und 26 Prozent vertreten. Nur jeder Zehnte ist Single.
Wer selbst zum Bohrer greift, tut das vielleicht aus Spargründen, aber selten weil er beschäftigungslos ist: 69 Prozent der Befragten sind berufstätig, nur 3 Prozent ohne Job. Im Baumarkt ist also vor allem der Mittelstand zu Hause. Menschen mit Eigentum, die sich ihr Heim selbst gestalten. Und solchen Leuten kann man nicht alles verkaufen. Das merkte die Branche, als Greenpeace bemängelte, dass Holz zum Teil falsch deklariert worden ist. Anfang Februar konnte die Organisation nachweisen, dass Fichtenholz aus russischer Urwaldzerstörung mit dem Herkunftssiegel des deutschen Holzabsatzfonds verkauft wurde. Die Baumärkte nahmen dieses Holz aus dem Sortiment. In sechs Fällen entdeckte Greenpeace Bretter aus russischem Urwaldholz, die mit dem Siegel der Holzindustrie nach dem Paneuropäischen Forstzertifizierungssystem (PEFC) ausgezeichnet waren.
Peinlich war der Skandal nicht nur aus Gründen der Ecological Correctness, sondern auch, weil gerade Russland sich zum neuen Boomland entwickelt. OBI hat im vergangenen Jahr seine beiden ersten „Hypermärkte“ in Russland eröffnet – mit je über 16.500 Quadratmeter Handelsfläche. In den kommenden Jahren sollen weitere Märkte folgen. Das Prinzip Baumarkt entwächst dem Eigenheim und globalisiert sich.
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