: „Die Arroganz ist besiegt“
Für Bundesumweltminister und Werder-Fan Jürgen Trittin resultiert Bremens Gewinn der deutschen Fußballmeisterschaft aus der „Öffnung für andere Kulturen“. Bayern gönnt er einen „Uefa-Cup-Platz“
INTERVIEW PETER UNFRIED
taz: Glückwunsch, Herr Trittin. Sie haben Stoiber, Schröder, Fischer und alle anderen Spitzenpolitiker abgehängt.
Jürgen Trittin: Na ja.
Sie lachen?
Wir Bremer freuen uns, das ist das Wichtige. Ob sich Edmund Stoiber ärgert oder nicht, das übersehen wir mal ganz locker.
Sie sind der weltweit einzige Werder-Fan außerhalb von Bremen?
Wo denken Sie hin. Ich kenne keinen, der in Bremen geboren und aufgewachsen und dann weggezogen ist und der nicht Werder-Fan geblieben wäre.
Wie bewerten Sie den vierten Meistertitel für Werder?
Ich finde das ganz toll. Ich habe 1999 das erste Spiel von Thomas Schaaf als Trainer gesehen, nachdem Felix Magath gegangen worden war. Damals ging es darum, dass Bremen nicht abstieg. Damit begann alles. Und nun ist Werder Meister. Großartig. Und das Pokalfinale kommt ja auch noch.
Ihr Spieler der Saison?
Das ist schwer. Ich entscheide mich für Micoud.
Andere positive Auffälligkeiten?
Es lief viel so, wie ich es erwartet habe, einige blieben unter ihren Erwartungen. Nein. Die wirklich große Überraschung ist mein Verein.
Woraus speist sich Ihre Liebe zu Werder?
Erstens war ich schon im Stadion, da spielt noch der legendäre Pico Schütz. Der hieß deshalb so, weil der nur Pike konnte. Und zweitens ist das ein Team, das nie das große Geld hatte, Das gefällt mir, dass Werder oben mitspielt, obwohl sie eigentlich von der Kapitalausstattung gar nicht die Chance dazu haben.
Ist Werders Erfolg ein Modell mit Symbolwirkung?
Also ich bin immer vorsichtig mit den Lehren vom Sport für die Gesellschaft. Vielleicht so viel: Werder hat im Rahmen der Möglichkeiten optimal gearbeitet. Mit Kreativität und Witz. Man hat immer wieder den Verlust guter Spieler kompensiert, die reichere Vereine weggekauft haben. Damit kann man stärkere, oder sagen wir, besser ausgestattete Mannschaften schlagen.
Was ist der inhaltliche Trick?
Werder ist offen für Bereicherungen aus anderen Kulturen. Von Klasnic über Micoud bis hin zu Ailton ist Werder auch ein Beispiel dafür, wie man aus einem traditionell eher trögen Verein etwas machen kann – indem man sich anderen Kulturen öffnet.
Ihr Parteifreund Cohn-Bendit gibt der CDU die Schuld an der Krise des deutschen Verbandsfußballs, weil sie durch die Verschleppung des neuen Staatsbürgerrechts genau das verhindert habe.
Das stimmt. Es gibt eine Reihe von Spielern, die heute in der deutschen Nationalmannschaft spielen würden und nicht in anderen, wenn wir das rot-grüne Staatsbürgerrecht früher gehabt hätten.
Cohn-Bendit findet Werder okay, aber auch langweilig, weil es keine Utopien beinhalte.
Ich weiß nicht, ob Fußball und Utopien immer so zusammengehen. Und wenn Werder eines nicht abgeliefert hat, dann ist es langweiligen Fußball. Im Gegenteil: Diesen auch im Vergleich zur Ägide von Otto Rehhagel innovativen und kreativen Offensivfußball hätten viele Thomas Schaaf nicht zugetraut.
Dem superkonservativen Schaaf-Vorgänger hat man in Bremen ein Denkmal gesetzt. Fanden Sie ihn auch gut?
Der hat uns aus der Zweiten Liga nach oben gebracht. Der ist zweimal Meister geworden. Der hätte in Bremen auch pensioniert werden können.
Sie definieren sich auch GEGEN Bayern?
Sagen wir so: Ich freue mich, wenn Oliver Kahn im Uefa-Cup spielt. Also, da bin ich ja nicht der Einzige. In dieser Woche freut sich doch fast der komplette Rest der Republik mit Bremen.
Warum?
Mit Werder ist die Mannschaft Meister geworden, die zusammen etwa so viel gekostet hat wie bei den Bayern Roy Makaay allein. Es eint den Rest Fußballdeutschlands, der Arroganz und Überheblichkeit ein Schnippchen geschlagen zu haben, die das Bayern-Management immer ausstrahlt und auslebt.
Gegen Bayern sein ist typisch für Linkssozialisierte?
Kulturgeschichtlich war Bayern in München eher der linke Verein. Und nur weil Edmund Stoiber da jetzt im Aufsichtsrat die Weißwurst abgibt, würde ich das trotzdem nicht so sehen. Gegen die Bayern zu sein liegt nicht an deren politischer Richtung, sondern ist eher ein Abstoßreflex gegen die Überheblichkeit, die sich da Bahn bricht. Dass diese Überheblichkeit verloren hat, freut viele Menschen.
Noch mal: Was kann sich der Standort Deutschland von Werder abschauen?
Hm.
Na?
Türen auf, Ärmel hochgekrempelt, los. Bremen beweist, dass man auch aus einer schwierigen Situation heraus wieder Spitze werden kann.
Ist dieser Titel ein solitäres Ereignis?
Das wollen wir doch nicht hoffen.
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