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Bewerben, bevor es zu spät ist

Mit Inplacement-Seminaren hilft das Arbeitsamt Mitte gekündigten Akademikern, schnell einen neuen Job zu finden. Wer sich nach der Kündigung nicht sofort meldet, kriegt weniger Stütze

von RICHARD ROTHER

Arbeitslos ist Birgit Woitke noch nicht, aber beim Arbeitsamt war die Pressesprecherin eines Verbandes schon öfter. Zu einem so genannten Inplacement-Seminar, das bei der Suche nach Jobs und dem Erstellen von Bewerbungsunterlagen hilft. „Für mich ist das genau das Richtige.“ Wenn man mehrere Jahre im Beruf gewesen sei, wisse man gar nicht mehr, wie Bewerbungsunterlagen heute aussehen sollten.

Woitke ist kein Einzelfall. Seit dem 1. Juni bietet das Arbeitsamt Mitte solche „Inplacement-Seminare“ für Akademiker an, die ihre Kündigung schon in der Tasche haben, aber noch nicht arbeitslos sind. „Im Idealfall kommt Arbeitslosigkeit gar nicht erst auf“, sagt Arbeitsamtschefin Ramona Schröder. Zunächst sei das Programm auf 50 Betroffene begrenzt. „Aber wenn es ein Renner wird, stocken wir auf.“ Rund 500 Arbeitssuchmeldungen von Akademikern erwartet das Arbeitsamt Mitte, das die ehemaligen Stadtbezirke Wedding, Tiergarten, Mitte, Kreuzberg und Friedrichshain umfasst. Andere Arbeitsämter haben ähnliche Programme für unterschiedliche Zielgruppen aufgelegt.

Hintergrund der neuen Coaching-Seminare für Noch-nicht-Arbeitslose sind einige Verschärfungen, die nach dem „Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ der rot-grünen Bundesregierung zum 1. Juli in Kraft treten. Demnach müssen sich Beschäftigte unmittelbar nach Erhalt einer Kündigung beim Arbeitsamt arbeitssuchend melden, auch wenn sie zunächst noch weiter beschäftigt sind. Andernfalls wird das mögliche Arbeitslosengeld gekürzt.

Die Inplacement-Workshops in Mitte werden vom Seminarzentrum Göttingen (SZG), einem Weiterbildungsträger, durchgeführt. Angeboten werden ein individuelles Coaching, die Erarbeitung von Bewerbungsstrategien, Bewerbungstechniken, ein Internetzugang sowie eine telefonische Hotline-Beratung – etwa für den Fall, dass ein Bewerbungsgespräch unmittelbar bevorsteht. „Unser Ziel ist, dass die Betroffenen übergangslos in neue Jobs kommen“, sagt SZG-Geschäftsführer Stefan Komoß. Ein Zeitproblem für die Betroffenen, die neben ihrem Job an Seminaren teilnehmen und Bewerbungen schreiben sollen, sieht Komos nicht. „Die meisten Arbeitgeber haben nach Kündigungen ein schlechtes Gewissen und stellen ihre Mitarbeiter zur Stellensuche frei.“

Der Weiterbildungsträger hat aber auch einen ganz handfesten Grund, den künftigen Eventuell-Arbeitslosen beim Bewerben zu helfen. Nur bei erfolgreicher Vermittlung bekommt das SGZ Geld vom Arbeitsamt – zwischen 1.200 und 2.500 Euro pro Bewerber. Das Seminarzentrum hofft, künftig mehr als die Hälfte dieser Kunden zu vermitteln.

Das Inplacement-Angebot, das im Unterschied zu anderen Arbeitsamtsmaßnahmen freiwillig ist, stößt allerdings nicht bei allen Teilnehmern auf Gegenliebe. „Für mich ist das vertane Zeit“, sagt eine Biotechnologin, die sich seit fünf Jahren mit Zeitverträgen über Wasser hält. Sie kenne das Angebot auf dem Arbeitsmarkt, wisse auch, wo sie sich weiterqualifizieren könne. Auf Arbeitslose werde der gesellschaftliche Druck aber immer weiter erhöht, kritisiert die 43-Jährige. „Eigentlich bin ich nur zum Inplacement gekommen, damit mein Arbeitsvermittler nicht denkt, ich würde mich nicht um einen neuen Job bemühen.“

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