in fußballland: CHRISTOPH BIERMANN über die Duzerei auf Schalke
Muckelchen unter Machos
Anstatt diese wesentliche Information in den Klatsch-Kreislauf einzuspeisen, soll hier weltexklusiv erzählt sein, dass Rudi Assauer seine Lebensgefährtin „Muckelchen“ nennt. Die so Bezeichnete ist Schauspielerin, und wer Simone Thomalla nicht aus einschlägigen Unterhaltungsfilmen kennt, hat sie doch schon einmal an der Seite von Assauer in jenem Werbespot gesehen, wo beide zusammen auf dem Sofa sitzen und fernsehen, als Assauer sie bittet, ein Bier zu holen. Sie verschwindet in die Küche, nimmt hastig einen Schluck aus der Flasche, kehrt aufs Sofa zurück, sagt, dass kein Bier mehr da sei, und macht einen kleinen Rülpser. Gut gespielt ist das und lustig, wie da Geschlechterrollen unterlaufen werden.
Muckelchen nennt den Manager von Schalke 04 übrigens „Rudi“, wie es bei und um den Klub fast alle tun. Im Unterschied zu Muckelchen aber tun sie es meistens nur dann, wenn er nicht dabei ist. Denn „der Rudi“ ist kein Duz-August und lässt sich mit „Herr Assauer“ anreden. Das mag darin begründet sein, dass der Rudi auf Schalke seiner Rolle einen leicht royalistischen Einschlag gibt. In der vergangenen Woche etwa hat er bei einem Turnier der Vereinssponsoren in einer Promi-Elf mitgespielt, und als er den Platz verließ, schritt er daher, als würde er eine Hermelinschleppe hinter sich herziehen. Demutsvoll wich das königsblaue Volk auseinander, als der Prinzipal seiner Wege ging.
Der Rudi trägt zwar weder Hermelinschleppe noch Reichsapfel oder Krone, aber seine Zigarren haben eine ähnliche Funktion wie der Zepter. Er setzt sie als Symbole der Regentschaft ein. Vielleicht hat der Rudi irgendwann auch bemerkt, wie gut die Davidoff Grand Cru Nummer Soundso zum Macho-Image beitragen. Obwohl er bestimmt nicht zu den Leuten gehört, die sich darüber sonderliche Gedanken machen. Irgendwie ist der Rudi nämlich ein Mann von gestern.
Nicht, dass wir uns missverstehen: Seinen Klub führt er mit zumeist funktionierendem Instinkt und insgesamt starker Hand, aber in einigen Jahren wird es im Fußball keine Rudis mehr geben. Männer, die noch ungebrochen Kerle sind, ihre Zigarren schwenken und Muckelchen das Bier holen lassen. Männer, die eine so ungebrochene Biografie im Fußball haben, dass man glauben muss, sie würden nur diese Welt kennen. Sie werden wohl von Managern ersetzt, die Swot-Analysen kennen und den Corporate- Business-Talk beherrschen, weil es halt um ein richtiges Business geht.
Meistens wird es bedauert, dass es irgendwann keine Rudis mehr geben wird, weil die Männer, die das schreiben, eigentlich auch gerne Muckelchen Bier holen lassen würden. Es gibt aber einen weitaus besseren Grund, den ich vor einigen Monaten erfahren habe, als ich auf ein Interview mit Assauer wartete. Immer wieder kam er damals aufgeregt an mir vorbeigelaufen, entschuldigte sich kopflos dafür, dass es noch dauern würde, und bat mich mit gehöriger Verspätung zum Gespräch. Dann holte er sich, obwohl es erst später Vormittag war, ein Bier und erzählte vom Vater seiner Partnerin, dem es damals gesundheitlich sehr schlecht ging. Mehr für sich als für mich besprach er dessen Lebenssituation auf so einfühlende wie mitfühlende Weise, dass mir dämmerte, wie sehr zum Prinzip Rudi auch diese gefühlige, sentimentale Seite gehört.
Seitdem kann Herr Assauer Zigarren-Zepter schwenken, wie er will, und zum Cartoon seiner selbst werden. Im Zweifelsfall lässt er sich von Muckelchen doch das Bier wegtrinken.
Fotohinweis: Christoph Biermann, 42, liebt Fußball und schreibt darüber
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