piwik no script img

Bald regiert wieder eine Gandhi

Indiens Wähler ignorieren Kampagne gegen Kandidatin mit italienischer Herkunft: Sonia Gandhis Kongresspartei kann mit linken Partnern regieren

VON BERNARD IMHASLY

Dieses Ergebnis hatte vorher niemand für möglich gehalten: Die siegessichere Regierungsallianz hat die Wahl verloren, und der vorher als erfolgreich geltende Atal Behari Vajpayee trat gestern als Premierminister zurück. Strahlende Siegerin ist die Kongresspartei – die altehrwürdige Partei Nehrus und Indira Gandhis –, die mit Sonia Gandhi sogar eine Spitzenkandidatin vorweisen konnte, die in den berühmten Gandhi-Clan eingeheiratet hat.

Die von der hindunationalistischen Volkspartei BJP angeführte Koalition erreichte nach den vorläufigen Hochrechnungen nur 190 Mandate, weit unter der erforderlichen Mehrheit von 272 Sitzen. Die Kongresspartei und ihre Regionalpartner gewannen dagegen, zur Überraschung selbst ihrer Anhänger, 223 Mandate. Zusammen mit der in Aussicht gestellten Unterstützung der Linksparteien, die 62 Sitze gewannen, kann sie damit eine komfortable Mehrheit hinter sich bringen.

Die BJP gestand ihre Niederlage ein. „Wir haben beschlossen, in die Opposition zu gehen, sagte der BJP-Vorsitzende Venkaiah Naidu. Nach einer Kabinettssitzung am Abend bot Vajpayee dem Staatspräsidenten Abdul Kalam seinen Rücktritt an. Dieser wird in den nächsten Tagen die Parteiengruppierung mit der Unterstützung der Mehrheit der neuen Parlamentsabgeordneten zur Regierungsbildung einladen. Es bestehen kaum Zweifel, dass dies die Allianz unter Führung der Kongresspartei sein wird. Die Partei Sonia Gandhis allein hat 149 Sitze gewonnen und ist damit zur größten Partei im neuen Parlament aufgestiegen. Eine Sensation: Noch im Wahlkampf war der Kongresspartei nur eine zweistellige Anzahl an Parlamentssitzen vorausgesagt worden war.

Vajpayee galt als erfolgreich – nun ist er zurückgetreten

Für die BJP waren die Prognosen hingegen gut. Und trügerisch – wie sich gestern herausstellte. Die BJP verfehlte nicht nur ihr Traumziel von 200 Sitzen, sondern blieb mit 136 Mandaten weit hinter ihren bisherigen 179 Sitzen zurück. Noch spektakulärer ist der Sieg der beiden kommunistischen Parteien, die in den beiden Bundesstaaten Westbengalen und Kerala das beste Resultat in ihrer Geschichte errangen. Mit ihren 62 Sitzen würden sie der bisherigen Opposition damit bereits zu einer einfachen Mehrheit verhelfen, ohne dass der Kongress (wie bisher die BJP) auf eine Reihe von weiteren Parteien Rücksicht nehmen muss.

Die Reaktion der Börsen war symptomatisch: Nachdem in den letzten Tagen ein scharfer Rückgang der Kurse die Angst vor politischer Instabilität signalisierte, kam es gestern zu einer ebenso raschen Erholung, als sich die neuen Mehrheitsverhältnisse abzeichneten.

Der Sieg der Kongresspartei wird auch die Kontroverse über den Führungsanspruch ihrer Präsidentin Sonia Gandhi zum Verstummen bringen. Sie war es, die – im Alleingang gegen eine ganze Phalanx von BJP-Führern – das Land kreuz und quer bereiste und hunderte von Auftritten absolvierte. Ihre italienische Herkunft war von der BJP zudem zu einem Wahlkampfthema gemacht worden. Sie forderte damit das Urteil des Wählers heraus, und dieses war klar: Für eine Mehrheit der Wähler ist ihr Geburtsschein kein Thema. Diese Meinung wird noch deutlicher, wenn man das Schicksal von Regionalpolitikern wie Jayalalitha und Narendra Modi betrachtet, die ihre Wahlkampgane in eine einzige Anti-Sonia-Tirade verwandelt hatten. Die BJP in Modis Bundesstaat Gujarat verlor eine Reihe von Sitzen, und in Tamil Nadu konnte die Partei Jayalalithas keinen einzigen Parlamentssitz gewinnen.

Die Wähler kümmerte der Geburtsschein Gandhis nicht

Dafür wird nun plötzlich die Führungsfigur des abtretenden Premierministers ein Thema. Die BJP-Allianz hatte die Persönlichkeit Vajpayees zu ihrem wichtigsten Wahlkampfthema gemacht, nicht zuletzt aufgrund der außerordentlich hohen Popularität des Junggesellen, die jene für seine eigene Partei in den Schatten stellte. Er hatte es fertig gebracht, eine zusammengewürfelte Koalition über fünf Jahre zusammenzuhalten, er hatte dem Erzfeind Pakistan die Hand der Freundschaft ausgestreckt, und er war es, der mit seinen Reformen dem Land im letzten Jahr ein hohes Wirtschaftswachstum verschafft hatte. Dennoch gelang es ihm nicht, die schwere Niederlage seiner Allianz aufzuhalten, die nun wahrscheinlich das Ende der Karriere des bald achtzigjährigen Politikers einläuten wird.

Der Sieg der Kongress-Allianz lässt sich quer durch den Subkontinent ablesen. In den südlichen Großstaaten Tamil Nadu und Andhra Pradesh mit ihren insgesamt 140 Millionen Einwohnern konnte sie eine große Anzahl von Sitzen einbringen. In Gujarat, dem Staat, der nach den antimuslimischen Ausschreitungen vom Februar 2002 fest in der Hand der BJP schien, verlor diese die Hälfte ihrer Sitze. Selbst im größten Bundesstaat Uttar Pradesh in der nördlichen Gangesebene konnte der Kongress wieder Fuß fassen, während die BJP schwere Einbußen entgegennehmen musste. Doch die schiere Größe des Landes bewirkt, dass oft lokale Themen das Wahlverhalten bestimmten. So erlitt die Kongresspartei in den Staaten Kerala und Karnataka, in denen sie an der Regierung ist, schwere Niederlagen, während die BJP in den Staaten Madhya Pradesh und Rajasthan ebenso überzeugend gewann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen