piwik no script img

Liebe einzige Bertha!

Alles begann vor 110 Jahren: Ende Juni 1893 schrieb Marga Berck alias Magdalene Melchers einen Brief an ihre Freundin.1951 macht sie aus ihm den Beginn von „Sommer in Lesmona“. Mit einem Nachdruck lädt die taz Bremen zum Wiederlesen ein

Ich sagte:„Herr W., ich bin siebzehn Jahre, ich glaube, mein Vater wird furchtbar böse.“

Marga Berck

An

Fräulein Bertha Elking

Rittergut Darneelen b. Gerdshagen i. M.Freitag, den 30. Juni 1893 BremenLiebe einzige Bertha!

Was ist alles passiert, seit wir uns heute früh um 8 Uhr am Bahnhof in Lübeck trennten! Das Letzte, was ich von Dir sah, war, wie Du zwischen Tante The und Tante Martha auf den anderen Bahnsteig geführt wurdest. Du drehtest Dich noch einmal zu mir um und zucktest die Achseln zum Zeichen, daß du Hans nicht entdeckt hättest. Ich sah bis zuletzt aus dem Fenster, ob er noch irgendwo stände, denn er hatte doch versprochen, mich noch wegfahren zu sehen.

Als der Zug abfuhr und ich gerade den Kopf wieder hereinziehen will, winkt er aus dem Nachbar-Coupéfenster. Du kannst dir meinen Schreck denken. Natürlich wußte ich sofort, daß irgend etwas passieren würde. An der ersten Station, wo der Zug hielt, kam der Schaffner mit einem Rosenstrauß und fragte, ob der Herr von nebenan wohl hereinkommen dürfe, dann würde er dies Schild „Frauen“ in „Nichtraucher“ umklappen.

Natürlich sagte ich, er möchte nur hereinkommen, und schon war er da. Er sah wirklich ganz glänzend aus. Ich war aber so wahnsinnig verlegen, daß ich gar nicht sprechen konnte. Zuerst sagte er, er wollte mir nun beichten, daß Edda von K. ihm von unserem Aufenthalt in Lübeck geschrieben hätte, deshalb sei er sofort am ersten Nachmittag bei uns vorbeigeritten. Seine Eltern hätten uns auch an dem Nachmittag in Travemünde gesehen und würden uns gern begrüßt haben, aber Du und ich wären ja wie zwei Gefangene zwischen den Tanten nach der Seite abgeführt worden. Dann fragte er, ob die Tanten Roesner was davon gemerkt hätten, daß wir beide mit ihm in der Konditorei gewesen wären, und solche Sachen mehr. Dann redete er von Carly.

Eigentlich schwieg ich immer, weil ich solche Angst hatte. Er saß mir gegenüber. Plötzlich setzte er sich zu mir und sagte: „Wissen Sie auch, daß ich mich vor einem Jahr schon in Sie verliebte, als ich, mit Strahlendorff von Carly eingeladen, bei Ihnen in Bremen wohnte? Sie waren da ja so süß und so frech, und ich dachte, daß ich keine andere Frau heiraten möchte.“

Liebe, liebe Bertha, ich dachte immer, wenn Du doch nur da wärest und mir helfen könntest! Seine Augen waren sehr blau, aber sonst weiß ich wenig von seinem Gesicht. Natürlich merkte er, wie furchtbar verlegen ich war. Da sagte er, ich sollte doch keine Angst vor ihm haben, wir hätten uns doch in Bremen so gut verstanden, und ob es mir denn ein schrecklicher Gedanke sein würde, wenn er mich fragte, ob ich seine Frau werden wollte. Ich sagte: „Herr W., ich bin siebzehn Jahre, ich glaube, mein Vater wird furchtbar böse.“ Er sagte, das sollte ich nur ihm überlassen, und das wollte er schon alles über Carly machen. Da sagte ich, das sei ganz verkehrt, denn Carly wollte nichts davon wissen, daß ich mich verlobte. Da meinte er lachend: „Also an sich sind Sie einverstanden und weisen mich nicht ab?“ Ich sagte: „Ich weiß es nicht, ich habe es mir noch gar nicht überlegt.“

Dann zog er meine langen gelben Handschuhe aus und fing an, die innere Hand und den Arm zu küssen. Denke Dir, das mochte ich nicht, und ich zog die Hand rasch weg. [...]

Marga Berck: Sommer in Lesmona ist erschienen im Langen Müller Verlag, München, 1998, 230 Seiten, 9,90 Euro. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlages

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen