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Kapital verspielt

Die Niederlage im Kampf um die 35-Stunden-Woche erschüttert die Gewerkschaftsbewegung

von BARBARA DRIBBUSCH

Jürgen Peters suchte gestern nach den richtigen Formulierungen. „Wir werden den Streik zu analysieren haben, die Rolle des Vorstandes natürlich und die Rolle auch Einzelner mit Sicherheit kritisch würdigen“, orakelte Peters. Der Vizechef der IG Metall weiß, dass mit der Niederlage im Kampf um die 35-Stunden-Woche im Osten nicht nur der Ruf der Gewerkschaft, sondern auch sein eigener auf dem Spiel steht. Peters, der im Herbst zum neuen Chef der IG Metall gewählt werden sollte, steht jetzt vor einem Abgrund – und mit ihm die Gewerkschaft.

Das Scheitern der Tarifverhandlungen um die Arbeitszeitverkürzung im Osten und die Aufgabe des Streiks durch die IG Metall haben die politische Landschaft erschüttert. Es ist das erste Mal seit fast 50 Jahren, dass die IG Metall einen Arbeitskampf einfach so verloren gibt. „Die bittere Wahrheit ist: Der Streik ist gescheitert“, sagte der noch amtierende IG-Metall-Chef Klaus Zwickel. In der Nacht zum Sonnabend hatten die Arbeitgeber und die IG Metall noch versucht, eine Einigung zu erzielen. Doch die Vorstellungen lagen zu weit auseinander. Obwohl die IG Metall am Ende einen Vorschlag vorlegte, nach dem die Arbeitszeitverkürzung von 38 auf 35 Stunden bis spätestens zum Jahre 2011 abgeschlossen und an die Produktivitätsentwicklung der Firmen angebunden werden sollte, lehnten die Arbeitgeber ab. Sie wollten keine konkrete zeitliche Festlegung vereinbaren.

Der Sprecher des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Werner Riek, räumte gestern ein, dass den Arbeitgebern eine Einigung mit der IG Metall „lieber gewesen wäre als dieser Zustand“. Denn nachdem Zwickel den Streik am Sonnabend für gescheitert erklärte, gilt der Flächenvertrag und damit auch die IG Metall als geschwächt – und das bereitet auch dem Arbeitgeberlager Sorgen. In der Folge könnten viele Betriebe dazu übergehen, Firmentarifverträge abzuschließen. Diese Haustarifverträge müssen mit den örtlichen Gewerkschaftsvertretern vereinbart werden. „Wir warnen vor Haustarifen, weil die einzelnen Unternehmen dadurch erpressbar werden“, sagte Riek.

Entscheidender als die praktischen Folgen sind die politischen Konsequenzen: In der öffentlichen Meinung steht die IG Metall jetzt machtloser da als zuvor. Man müsse künftig über Streikstrategien sorgfältiger diskutieren, sagte IG-Metall-Chef Klaus Zwickel am Wochenende. Der Organisationsgrad der Belegschaften und die Auftragslage der betroffenen Firmen müssten stärker berücksichtigt werden. Der Arbeitskampf hatte die Belegschaften mancherorts gespalten. Bilder von Mitarbeitern, die via Hubschrauber in Werke eingeflogen wurden, um die Streikfront zu brechen und die Produktion am Laufen zu halten, gingen über die Fernsehstationen. In den Zeitungen konnte man Berichte lesen von Beschäftigten, die wegen des Streiks aus der IG Metall austraten.

Der Arbeitgeberverband VSME in Sachsen schließlich zog sogar die Verfassungsmäßigkeit des Streiks in Zweifel. Denn von 125.000 Metall-Beschäftigten in Sachsen gehören nur 28.000 Arbeitnehmer Firmen an, die an den Flächentarifvertrag gebunden sind. Davon sind 16.000 IG-Metall-Mitglieder. Und von diesen wiederum reichten 12.000 Jastimmen, um den Streik einzuleiten. Dass somit also letztlich nur 10 Prozent der Beschäftigten in Sachsen eine ganze Branche lahm legen konnten, wurde von den Arbeitgebern heftig kritisiert.

„Der Flächentarifvertrag bindet die IG Metall an eine gewisse Orientierung am Gemeinwohl“, sagt Klaus Lang, Bereichsleiter beim Vorstand der IG Metall. Doch eine Gewerkschaft, der man den verantwortungsvollen Umgang mit dieser Verpflichtung zum Gemeinwohl nicht mehr zutraut, bekommt ein Legitimationsproblem. Die Frage ist jetzt, wer in der IG Metall zur Verantwortung gezogen wird.

Der Posten des ostdeutschen IG-Metall-Bezirksleiters Hasso Düvel, aber auch die Zukunft des designierten IG-Metall-Chefs Jürgen Peters, galten gestern nachmittag als wackelig. Beide hatten den Streik forciert, während sich der amtierende IG-Metall-Chef Klaus Zwickel im Vorfeld des Streiks nicht mehr lautstark für eine Verkürzung der Arbeitszeit im Osten eingesetzt hatte. In einer Resolution forderte die IG-Metall-Verwaltungsstelle Bochum gestern, Peters solle seine Kandidatur für die Wahl zum IG-Metall-Chef zurückziehen. „Wir wollen auf dem kommenden Gewerkschaftstag einen neuen Vorsitzenden wählen, und der ist mit einer von ihm selbst forcierten Tarifauseinandersetzung nicht erfolgreich gewesen“, erklärte viel sagend der Sprecher des IG-Metall-Bezirks Küste, Daniel Friedrich.

Falls Peters von der Kandidatur zurücktritt, stünde wahrscheinlich der designierte zweite IG-Metall-Vorsitzende, Berthold Huber, zur Wahl. Huber tritt weniger klassenkämpferisch auf als Peters. Zwickel hätte ihn ohnehin lieber als seinen Nachfolger gehabt.

Vielleicht endet die Niederlage der IG Metall im Osten somit in einer Richtungsänderung der IG Metall, hin zu einem gemäßigteren politischen Kurs. Vielleicht aber auch nicht.

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