piwik no script img

Friedrich Schiller hätte mitgetanzt

Die Polizei hat der alternativen Fuckparade den Demonstrations-Status aberkannt – mal wieder. Dabei hat die Verbindung von Tanz und Politik eine lange Tradition. Und Denker wie Aristoteles hätten den Umzug sicher erlaubt

Aristoteles hätte die Fuckparade erlaubt. Zumindest darf man das annehmen. Die Wahrnehmung des Tanzes sei nämlich nicht nur eine ethische, sondern auch eine politische Frage, so der Denker. Aristoteles kennt man auch im Polizeipräsidium, zumindest darf man das annehmen, aber dennoch folgt es einer anderen Argumentation – und hat die Fuckparade wieder nicht genehmigt. Der Aufzug sei eine „bloße Zurschaustellung eines Lebensgefühls“. Der Gesetzgeber verlangt aber, dass „die Meinungskundgabe erkennbar im Vordergrund“ steht. Genau das sei schon in den vergangenen Jahren der Fall gewesen, empört sich Veranstalter Thomas Rupp. Aus diesem Grund haben die Gerichte den Organisatoren damals Recht gegeben. Und das aus gutem Grund. Die Verbindung von Tanz und Politik hat eine lange Tradition.

Der Musikjournalist Hauke Schlichting erkennt in der Fuckparade eine klare politische Aussage. Der aktive DJ betont außerdem die zeitliche und inhaltliche Entfernung von der Love Parade. Die Fuckparade sei keine Gegendemo mehr, sondern Protest einer kulturellen Minderheit. Die Organisatoren würden deren Interessen das ganze Jahr über mit politischem Anspruch vertreten. Außerdem tanzten die Leute nicht einfach nur einem Truck hinterher. „Wie bei einer klassischen Demo gibt es Transparente und Forderungen – beispielsweise gegen Ausgrenzung und Polizeistaat“. Eben was Politisches.

Das findet auch der Politologe Christopher Coenen, der sich seit Jahren mit Jugendbewegungen befasst. Schließlich gehörten Musik und Politik schon bei der Bügerrechtsbewegung zusammen. „Welche Menge an politischem Inhalt zu einer Demo gehört, steht außerdem nirgends. Gerade Parteiveranstaltungen haben zunehmend inhaltsleeren Unterhaltungscharakter.“ SPD-Parteitag contra Fuckparade?

Problematisch ist wohl einmal mehr die Definition von Politik. Dem stimmt auch die Hamburger Soziologin Gabriele Klein zu. Sie forscht seit zehn Jahren über die bundesweite Techno-Szene und sieht die Diskussion als historische Debatte. „Die Love Parade war in ihren frühesten Anfängen nicht anders als die Fuckparade heute.“ Das mache deutlich, wie schwierig es sei, Grenzen zu ziehen.

Ein anderer ausgewiesener Fachmann zum Thema ist Jochen Seebode. Der Ethnologe an der Freien Universität Berlin sieht „im Tanz durchaus eine Kapazität des Politischem“. Gerade die Ausdruckstänze in der Weimarer Republik wurden als äußerst politisch wahrgenommen – noch bevor sich die Tanzenden selber als Sprachrohr verstanden. Zur gleichen Zeit boten Simbabwe und Südafrika ein Beispiel für die Symbiose von Tanz, Musik und Politik. „Legal konnten sich die damaligen Minenarbeiter nur in Tanzgruppen organisieren – sie schufen dadurch eine kollektive Identität“, so Seebode. Eine Art singende Gewerkschaft übte so durch Kunst und Parodie erstmalig Kritik an den Kolonialherren. Ein anderer historischer Fürsprecher der Fuckparade könnte Friedrich Schiller sein. Bereits 1794 hat er erkannt: Der „höchste Akt der Vernunft“ sei ein „ästhetischer Akt“, den man vor allem im Tanz finde.

Anmelder Rupp rechnet deshalb auch fest damit, dass die Parade am kommenden Samstag stattfinden wird. Bis zu 2.000 Teilnehmer werden erwartet.

HANNES HEINE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen