Off-Kino: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Er sei anders als die Menschen seiner Heimat, „einem fetten Land mit fetten Leuten“, sagt der britische Major Thomas Edward Lawrence (Peter O’Toole) einmal mitten in der Wüste zu einem Beduinen. Anders ja – doch was war der Offizier aus Oxford wirklich, der während des Ersten Weltkriegs die arabischen Stämme zum Aufstand gegen die Türken bewegte? Ein idealistischer Träumer? Oder ein größenwahnsinniger Narziss? Dass Lawrence sich eigentlich auch selbst kaum kennt, davon handelt David Leans Monumentalbiografie „Lawrence von Arabien“, die verschiedene Facetten dieses seltsamen Charakters aufzeigt, ohne das Rätsel um die Person des Majors allerdings wirklich lösen zu wollen. So gesehen ist „Lawrence von Arabien“ weniger ein Film über Krieg und britische Kolonialgeschichte als vielmehr der bildmächtig gestaltete Selbsterfahrungstrip eines am Rande des Wahnsinns stehenden Menschen, dem nur die unmöglichsten Herausforderungen gerade recht erscheinen. Dem vom damals noch fast völlig unbekannten Peter O’Toole in einer seiner größten Leistungen gestalteten Charakterporträt geben Regisseur David Lean und Kameramann F. A. Young einen spektakulären Rahmen: In Technicolor und Super-Panavision-70 entfalten sich grandiose Panoramen der ebenso schönen wie gnadenlosen Wüste mit feurigen Sonnenbällen, Sandstürmen und einem Horizont, der sich wie ein Strich dahinzieht.
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„Von diesem jungen Mann wird die Welt noch hören“, meint der stolze Vater bei der Geburt seines Sohnes – und befindet sich dabei in einem fatalen Irrtum. Denn John Sims (James Murray) wird in King Vidors Stummfilmklassiker „The Crowd“ nicht den großen amerikanischen Traum erleben, sondern ein Mensch der Masse bleiben, der sich zeitlebens mit banalen Alltagsproblemen herumschlägt: Ehestreitigkeiten, Arbeitsplatzverlust, zu wenig Geld. Sinnbild hierfür ist der Blick, den Vidor auf das vermeintliche Wunderkind an seinem Arbeitsplatz wirft. In einem monströsen und völlig überfüllten New Yorker Großraumbüro sitzt Sims an seinem Schreibtisch, auf dem ein Schild mit einer Ziffer steht: Sims ist die Nummer 137.
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Eine Nacht in einer amerikanischen Kleinstadt des Jahres 1962: Vier junge Männer jagen den Mädchen nach, cruisen mit Hot Rods die Hauptstraße entlang und wissen nicht so recht, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen – George Lucas’ „American Graffiti“ handelt von den letzten unbeschwerten Tagen der Unschuld. Der Appeal des Films liegt in der genauen Rekonstruktion einer ganzen Epoche: Drive-In-Restaurants, illegale Autorennen und überall Rock ’n’ Roll. Doch so nostalgisch die Geschichte daherkommt, so deutlich entstammt die episodische Struktur des Films den 70ern: Regisseur Lucas springt zwischen den Erlebnissen seiner Protagonisten hin und her, vermischt Komisches und Spannendes mit Melodramatischem und fängt dabei exakt die Atmosphäre eines Provinznests zwischen Langeweile und bemühter Erregung ein. LARS PENNING
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