: Eine Locke von Paula Superstar
Ihr Kamm, ihr Krug, ihre Brosche: Das Paula Modersohn-Becker Museum inszeniert im „Musée sentimental“ den Nachlass einer Bremer Ikone. Und nimmt dabei die Fans so ernst, dass die Selbstironie der Künstlerin fast ungefeiert bleibt
aus Bremen Annedore Beelte
Noch kann der Aufseher sie aufhalten. Aber sie drängen bereits mit Macht in die noch gar nicht eröffnete Ausstellung: Paula Modersohn-Beckers hartgesottene Fans. Da stehen sie hinter der Absperrkordel und fachsimpeln schon mal über Schaffensperioden und Motivwahl. Ein Vorwitziger versucht, sich mit seinem Halbwissen zu profilieren. „Starb sie nicht im Kindbett?“, meint er sich zu erinnern. „Kindbett?“ Ein unmutiges Raunen geht durch das Grüppchen. Modersohn-Becker, wird der Vermessene belehrt, starb an einer Embolie, die sie bekam, als sie zum ersten Mal aus dem Kindbett aufstand. Wir wollen doch bei der Wahrheit bleiben.
Verletzt, verbarrikadiert
Die Künstlerin hinterließ mehr als 700 Gemälde und 1.000 Zeichungen. Einige Schätze sind jetzt in der Nachlass-Ausstellung in den Bremer Kunstsammlungen Böttcherstraße erstmals zu sehen. Verletzt durch die vernichtende Kritik an ihrer ersten Ausstellung in der Bremer Kunsthalle hatte Modersohn-Becker in den letzten Lebensjahren ihr Atelier verbarrikadiert. Sogar ihr Mann Otto Modersohn konnte erst nach ihrem Tod über ihren späten, kräftig-holzschnittartigen Stil staunen.
Tille Modersohn, die Tochter des Künstlerpaares, hat den Nachlass ihrer Mutter in eine Stiftung überführt. In Zusammenarbeit mit dieser Paula-Modersohn-Becker-Stiftung fragt sich das der Malerin gewidmete Museum, was mit so einem Nachlass alles zu machen ist. Zum Beispiel kann man die Schritte von der fleißigen Studentin zur emanzipierten Künstlerin in ihren Zeichnungen verfolgen. Oder die Gegenstände hervorkramen, die für ihre Stillleben Modell gestanden haben, und sie zu einer neuen Stillleben-Plastik arrangieren.
Da stehen sie leibhaftig, die bunten Steinzeug-Krüge, aus denen die Künstlerin vielleicht morgens getrunken hat. Man kann einen Nachlass natürlich auch zu Geld machen. Otto Modersohn hatte schon 1916 alle Hauptwerke seiner Frau, die zu Lebzeiten nicht mehr als zwei Bilder loswurde, verkauft.
Regieren also im unteren Stockwerk die Kunst und der Mammon, so wagen sich die Ausstellungsmacher erst in der zweiten Etage so richtig zum eigentlichen Projekt der Ausstellung vor: Man kann aus einem Nachlass nämlich auch eine Reliquiensammlung machen. „Musée sentimental“ heißt die Ausstellung im Untertitel mit einem Schlagwort von Daniel Spoerri. Das Modell eines solchen anekdotisch-biografischen Krimskrams-Museums entdeckte der Künstler in Barcelona: verschlossen, „weil man sich dieser Sammlung von Banalitäten schämte“.
Ein gewisses Schamgefühl für den die Treppe hinauf verbannten Paula-Kult können die Ausstellungsmacher auch nicht ganz unterdrücken. „Das muss sein“, kichert Wolfgang Werner von der Stiftung angesichts der Haarlocke der Künstlerin, Malpalette, Brosche und Haarkamm und kleiner gebastelter Albernheiten. „Es gibt den Paula-Kult“, sagt Rainer Stamm, der Direktor der Kunstsammlungen. „Es wäre albern, ihn zu ignorieren, und albern, ihn zu hoch zu hängen.“
Paula-Junkies im Visier
Also macht er das Beste daraus und rechtfertigt die Basteleien als Studien an Volkskunst und alten Meistern. Warum eigentlich? Modersohn-Beckers familiäre Karikaturen, auf denen der Künstler-Ehemann wehleidig kränkelt und sie selbst die Last ihrer Werke durch die Künstlerkolonie stemmt, sind alles andere als peinlich. Ihre eigene Ironie auszukosten, würde schon genügen, um den Kult zu unterlaufen. Aber Paula-Junkies sind Zielgruppe, und die verärgert man nicht. Statt ironisch dargeboten liegen die Devotionalien brav in der Vitrine oder stehen in gebührendem Abstand hinter der Absperrkordel. Davor die Jünger.
Bis zum 29. August im Bremer Paula Modersohn-Becker Museum, Böttcherstr. 6–10, geöffnet Di–So 11–18 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen