: Nette Rausschmeißer
von JÖRN KABISCH
Nur in einem Punkt ist Peter Pick keine Ausnahme: Er spricht nicht sofort und auch nicht gern von seiner Kündigung. Drei Jahre ist die erst her. Doch Herr Pick, grau meliert und im dunklen Sommerjackett, will „etwas ausholen“ und erst von seinem Berufsleben erzählen, von der Offizierslaufbahn, die er nach der Schule einschlug und wieder abbrach, dem späteren Soziologiestudium und von seiner Karriere als Organisationsfachmann in der Personalabteilung der Albingia-Versicherung. 1999 wurde die mit der Axa Colonia fusioniert, ganze Betriebsteile wurden aufgelöst, auch der von Herrn Pick. Er stand auf der Straße. Mitte fünfzig. Wer findet da heutzutage noch eine neue Arbeit?
Heute hat Herr Pick viel zu tun. Er ist jetzt freier Unternehmensberater, Spezialgebiet Outplacement, zu Deutsch: Trennungsberatung. Und das ist eine der wenigen Branchen, die nicht nur trotz, sondern wegen der heutigen Wirtschaftsflaute noch wachsen.
Wenn in einem Unternehmen eine Kündigungswelle ansteht, dann kommen die Trennungsberater. Sie bereiten die Vorgesetzten auf das Kündigungsgespräch vor und helfen den Freigesetzten auf der Suche nach neuer Arbeit. Entlassen wird in Deutschland wie am Fließband. Erst vor einem Monat hat Bahnchef Mehdorn angekündigt, 40.000 Stellen einzusparen. Die Deutsche Telekom plant, sich von 15.000 Mitarbeitern zu trennen. Der Apothekerverband fürchtet, dass wegen der Gesundheitsreform 12.000 Arbeitsplätze wegfallen. Der Einzelhandel rechnet mit 300.000 weniger Jobs. Und Ver.di befürchtet, dass in der Weiterbildungsbranche in diesem Jahr 100.000 Angestellte arbeitslos werden. Noch schlimmer stellt sich die Lage dar, wenn man nicht auf die Zahlen, sondern auf die Stimmung unter den Beschäftigten blickt. Laut einer Befragung des Möllner Markt- und Meinungsforschungsinstituts Inra hält jeder fünfte Deutsche seinen Arbeitsplatz für gefährdet, in den neuen Bundesländern sogar noch mehr: 29 Prozent der Befragten. Und bei einer Online-Umfrage der Internet-Karriere-Börse monster.de antworteten nur 11,2 Prozent der Teilnehmer, sie fühlten sich ihres Jobs „sehr sicher“. Arbeitsmarktexperten erwarten inzwischen 5 Millionen Erwerbslose bis zum Jahresende. Wie gesagt, Herr Pick ist eine Ausnahme.
Die Kündigung gehört zu den großen Albträumen, die die Arbeiternation der Deutschen bewegen. In Grönland existieren 17 Namen für Schnee? Die Deutschen kennen mehr Umschreibungen für die Kündigung: Stellen abbauen, auf die Straße setzen, hinausschmeißen, die Papiere aushändigen, schassen, entlassen, feuern, absägen, abservieren, freistellen, ausmustern, absetzen, abschießen, abberufen, suspendieren, entpflichten, verabschieden, kaltstellen, wegrationalisieren – das waren schon neunzehn. Kaum einer wagt, die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust direkt anzusprechen. Die Psychologie vergleicht das Erlebnis mit dem Tod eines geliebten Menschen – und beschreibt die Folgen ähnlich: als „Schocktrauma“.
Zu den professionellen Kondolenten gehören dann die Trennungsberater. Sie helfen bei der Trauerarbeit. „Trennung“, erklärt Carolin Fischer, Psychologin und Outplacement-Beraterin, sei das bessere Wort: neutral und über den „juristischen Begriff“ weit hinausgehend. Bei „von Rundstedt und Partner“, einem der stärksten Unternehmen in diesem Sektor, hat sie schon alle Reaktionen auf die Entlassung erlebt: Den Betriebsleiter, dem die Farbe aus dem Gesicht weicht, den Sachbearbeiter, dem die Tränen in die Augen steigen, die Sekretärin, die fast erleichtert wirkt, den Handwerker, der sofort anfängt zu diskutieren.
„Jeder reagiert anders“, sagt Fischer, und doch erkennt sie Gemeinsamkeiten. „Ostdeutsche beispielsweise reagieren meist abgeklärter“, erzählt sie. „Die haben schon während der Wende eine Kündigung erlebt, die viel drastischer war.“ Insgesamt gelte: Je mehr sich jemand mit seinem Job identifiziert habe, umso schlimmer ist die Kündigung. Auch Frauen und jüngere Leute täten sich deswegen leichter, ergänzt Peter Pick, und gibt zu bedenken, dass es in vielen Branchen in den vergangenen Jahren darauf ankam, Mitarbeiter zu halten. Im Bankensektor sei die derzeitige Kündigungswelle deshalb für viele Angestellte besonders einschneidend, weil sie sich ihres Jobs bislang sehr sicher sein konnten.
Aber auch der anderen Seite fällt das Kündigen nicht leicht. Geschäftsführer und Abteilungsleiter haben Skrupel, wenn es daran geht, Mitarbeiter vor die Tür zu setzen. Denn auch hier, so Peter Pick, müssten Verlustängste bewältigt werden, bevor es ans Entlassen geht. Die Vorgesetzten schmerze, dass Bereiche, die sie jahrelang aufgebaut haben, nun verkleinert oder gestrichen werden sollen. Dass Manager „zu weinen angefangen haben“, sei für ihn das Schlüsselerlebnis gewesen, als Outplacement-Berater weiterzuarbeiten. Personalchefs, hat Carolin Fischer beobachtet, sehen es oft nicht als ihre Aufgabe, zu entlassen. „Die haben immer gedacht, sie sind nur da, um Leute einzustellen.“
Die Sprachlosigkeit der Vorgesetzten führt bei den Betroffenen zuweilen zu unliebsamen Überraschungen. Da muss jemand aus der Betriebszeitung erfahren, dass er die Firma verlässt, der Chef schickt die Sekretärin vor, um einen Mitarbeiter zu feuern, auf einmal lässt sich der Computer nicht mehr starten, oder die Schranke zur Firmengarage bleibt zu. Für 500.000 US-Dollar bietet die Firma Business Layers das Programm „DayOne“ an. Die Software erstellt auf Knopfdruck Kündigungsbriefe, sperrt Hausausweise, Vollmachten und E-Mail-Zugänge. Gleichzeitig wird die technische Abteilung angewiesen, Notebooks und Handys einzuziehen.
Carolin Fischer vermutet hinter solchen Methoden eher Hilflosigkeit denn Perfidie. Sie verweist auf eine Studie aus den USA: 791 Manager, die einen Herzinfarkt erlitten hatten, wurden dort nach den Auslösern gefragt. Stress wurde als erster Grund angegeben, dass sie Mitarbeitern kündigen mussten, als zweiter.
„Wenn man es mit den USA vergleicht, dann fehlt in Deutschland einfach noch Feedback-Kultur“, erklärt Carolin Fischer. Darum sei die Kündigung in Deutschland noch so ein unangenehmes Thema. In Amerika gehörten etwa Mitarbeiter- und Zielvereinbarungsgespräche fest zum Betriebsalltag. „In Deutschland sind das meist nur Pflichttermine“, sagt auch Peter Pick. Die Unehrlichkeit miteinander führe dazu, dass viele Mitarbeiter über den Wert ihrer Arbeit und ihre Qualifikationen nach ein paar Jahren im Berufsleben kaum noch nachdächten. Komme dann Kritik oder sogar eine Kündigung, dann meist aus heiterem Himmel.
In den USA wird nicht lange laviert, wenn Entlassungen anstehen: „Die Mitarbeiter werden im 15-Minuten-Takt einbestellt“, erzählt Carolin Fischer, „in Raum 1 findet dann das so genannte ‚Take-Out-Gespräch‘ statt, im nächsten Raum werden den Leuten Firmenschlüssel, Diensthandy etc. abgenommen, und in Raum 3 sitzt dann ein Outplacement-Berater für ein erstes Auffanggespräch.“ Am Ende würden die Gekündigten dann auch meist noch an ihren Arbeitsplatz begleitet, um persönliche und Firmenunterlagen zu sortieren. Ihre Erzählung klingt, als werde da so schnell wie möglich kurzer Prozess gemacht. Ja, es scheine zwar brutal, sagt Fischer, sie habe aber die Erfahrung gemacht: „Wenn die Kündigung so ritualisiert ist, dann ist das für den Einzelnen nicht so schlimm.“ Den Trennungsprozess zu verlängern oder die Kündigung zur Geheimsache zu machen, führe doch nur zu noch mehr Verletzungen.
Vielleicht weil sie eine amerikanische Erfindung sind, hatten die Trennungsberater früher gar keinen guten Ruf. Sie galten als „verlängerte Kündigungshilfe“, sagt Carolin Fischer, „vor allem bei den Gewerkschaften“. Die, und auch die Betriebsräte seien es heute dagegen, die bei Sozialplanverhandlungen nach den Outplacement-Beratern verlangen.
In Deutschland sitzt in Raum 3 dann Peter Pick, das ist auch für ihn oft unangenehm: „Die Aggressionen werden eben auf den Berater projiziert. Da muss von Arbeitsergebnissen, manchmal Lebensleistungen Abschied genommen werden und, was manchem erst nach der Kündigung auffällt: von vielen Menschen und Gewohnheiten.“ Er will dem Gegenüber dann eine Ahnung davon geben, „dass es auch ein Morgen gibt“.
Hier beginnt die eigentliche Arbeit der Trennungsberater: Sie helfen, noch in der verbleibenden Restlaufzeit des Vertrags wieder einen neuen Job zu finden, und stehen ihren Klienten meist bis zum Ende der neuen Probezeit zur Seite. Zu Beginn steht eine Potenzialanalyse und die Frage „Was will ich?“. Dann die Frage „Wie verkaufe ich mich?“. „Die Leute müssen dann rausgehen“, sagt Fischer. Ohne Kontakte, ohne Informationen, ohne Bewerbungen lässt sich keine neue Stelle finden. Ideen sind gefragt, beispielsweise, wenn entlassene Manager ein Sommerfest veranstalten und offensiv auch alte Geschäftspartner und Kollegen einladen.
Dabei verstehen sich die Trennungsberater aber nur als Begleiter und müssen anfangs oft hohen Ansprüchen und dem Missverständnis begegnen, sie würden den Klienten im Laufe der Beratung einen neuen Job präsentieren. „Es ist dann eine große Enttäuschung, wenn ich einem Klienten sage, er muss es selber machen“, sagt Carolin Fischer. Sie beschreibt die Arbeit eher als die eines Psychologen, nicht als eines Unternehmensberaters. Vor allem in Zeiten wie diesen mit hoher Arbeitslosigkeit: „Die Ängste, keinen Job mehr zu finden, sind größer geworden“, hat sie beobachtet. Den Satz, „Ich find doch nie was“, höre sie oft und beobachte die Lähmungen, die sich damit einstellen. „Es geht um Motivation“, sagt Peter Pick. Er erzählt von einem arbeitslosen Bäcker, der schon viel gemacht hatte und für den viele Berufe in Frage kamen, ursprünglich hatte er Dreher gelernt. „Dann erzählte mir der Mann aber auch, dass er lange seinen Vater gepflegt habe, als der krank war, und das mit Befriedigung. Er ist heute Altenpfleger.“
Und Pick hat noch ein zweites Beispiel parat, die Geschichte einer 25-jährigen Bankkauffrau. „Mich wunderte, dass sie während unseres Gesprächs nie Zahlen benutzte. Ich habe ihr das gesagt, und es stellte sich heraus: Diese Bankkauffrau hatte überhaupt keinen Bezug zu Zahlen oder Ziffern. Sie entschied sich dann dazu, ein Praktikum zu machen und zu studieren. Jetzt will sie selbst Outplacement-Beraterin werden.“ Wenn er so erzählt, möchte man ihm für einen Moment glauben: Herr Pick müsste keine Ausnahme sein.
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