Seltsame Riten: Monstranz Parade
Heute ist Fronleichnam. Vorgestern war der „Tag der Liebe“, wie die Boulevardpresse astrologiebeflissen orakelte. Das hat viel miteinander zu tun – oder zumindest mehr, als man denkt.
„Tag der Liebe“ durfte der vergangene Dienstag heißen, weil sich der Liebesplanet Venus bemüßigte, vor der Sonne vorbeizuzuckeln. Experten und Laien verfolgten durch geschwärzte Ferngläser das himmlische Ereignis: Spektakuläres war zu sehen: Ein schwarzer Fleck wanderte über einen roten Ball! Auserkorene durften dann am Abend in den Tagesthemen darüber schwabulieren, was für „ein tolles Gefühl“ es doch gewesen sei, im All sich etwas bewegen zu sehen. Toll.
795 Jahre zuvor – 1209 A. D. – schaute die belgische Augustinernonne Juliane von Lüttich gar Ähnliches in einer Vision. Beim frühmorgendlichen Gebete sah die damals 27 Jahre junge Mystikerin eine dunkle Stelle auf dem Erdtrabanten. „Der Mond bedeutet die Kirche, der dunkle Fleck darin das Fehlen des Festes zum heiligen Altarsakrament“, habe Christus ihr erklärt, berichtete die Nonne später. Alsbald wurde dem Fehlen dieses Festes Abhilfe verschafft: Das heutige Fronleichnamsfest entstand – zuerst in Lüttich, dann überall.
Fronleichnam heißt nicht etwa Happy Cadaver – wie der Scherzkeks knuspern mag –, sondern kommt aus dem Mittelhochdeutschen: „fron“ bedeutet „Herr“ und „lichnam“ meint den lebendigen – nicht den toten – Leib. Es geht also um den Leib des Herrn Christi – deshalb auch der offizielle Name: „Hochfest des Leibes und Blutes Christi“.
Der katholischen Glaubenslehre zufolge verwandeln sich beim heiligen Abendmahl, dem Altarsakrament, Wein und Brot in Blut und Leib Christi: Dass Christus auf diese Weise in der Kirche wirklich anwesend ist, wird fleißig gefeiert.
Der fleißige Fernsehzuschauer erlebt Fronleichnam vor allem wegen der beschaulichen Prozessionen. In Gestalt der geweihten Hostie wird Christus selbst durch Stadt und Land getragen. Die Hostie, das zum Leib gewandelte Brot, thront dabei in einer so genannten Monstranz – einem halbmondförmigen Schiffchen, das meist einer goldenen Sonne gleicht.
Sogar in der einst als protestantisch und jetzt als gottlos verschrienen Hauptstadt findet solch eine Prozession statt: Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky lädt zur Feier um 18 Uhr auf den Gendarmenmarkt. Ab 19 Uhr zieht sich dann die Prozession, an der auch der Botschafter aus dem Vatikan, Erzbischof Erwin Ender, teilnehmen will, durch die Stadt: Über die Markgrafenstraße, Taubenstraße, Friedrichstraße und Französische Straße tragen die Gläubigen den Leib Christi – und schließlich zurück zum Gendarmenmarkt.
Seit der Reformation schied das Fronleichnamsfest immer wieder die katholischen und protestantischen Geister. Der Reformator Martin Luther bezeichnete es 1527 beispielsweise als das „allerschädlichste Jahresfest“. Erst letztes Jahr nutzten die deutschen Bischöfe dieses Fest, um in ihren Predigten einem gemeinsamen Abendmahl mit Protestanten eine neuerliche Absage zu erteilen. Den gewandelten Leib zu feiern heißt eben auch, sich auf eine Glaubenslehre zu beziehen, die trennt: Protestanten verstehen das Abendmahl anders.
Dennoch: Behoben ist der dunkle Fleck des Mondes, den die heilige Juliane einst sah: Fronleichnam wird gefeiert, sogar in Berlin. Doch Venus-verursacht zeigte der Sonnenball am „Tag der Liebe“ einen schwarzen Fleck. Bleibt zu fragen, was dieser Fleck bedeutete. Und was der Kirche heute fehlt.
FLORIAN HÖHNE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen