piwik no script img

gottschalk sagtStraßennamen langweilen nicht

CHRISTIAN GOTTSCHALK: Die wöchentliche Kolumne

Manchmal trage ich die Nase hoch und blicke abschätzig auf die Lokalpolitik, in der ein jeder brav seine Rolle eingenommen hat. Wie vorhersehbar doch alles ist! Dann werfe ich schwungvoll einen imaginären, voll snobistischen Seidenschal hinter meine Schulter und schnaube verächtlich: „Oh Gott, wie mich das alles langweilt.“ Was ich dabei übersehe: Niemand wählt Politiker, damit sie ihn überraschen. Man will ja, dass sie tun oder zumindest sagen, was man von ihnen erwartet.

Nehmen wir mal als Beispiel die Diskussion um die Straßennamen für nigelnagelneue Straßen in einem Neubaugebiet in Köln-Brück. Die Namen unserer heimischen Zierpflanzen – Gladiolen, Tulpen, Hortensien usw. – sind schon vor langer Zeit in anderen Vorstädten verbraucht worden, ebenso die Namen der Märchenfiguren. Sind wir es doch, die in den Dornröschen- und Gladiolenwegen aufgewachsen sind, wo wir uns dereinst als stolze Reihenhauserben wiedertreffen werden. Doch das ist ein anderes Thema.

Jedenfalls finden die Grünen, dreimal dürfen Sie raten, „verdiente Frauen“ seien gesamtstädtisch bislang in Sachen Straßennamen zu kurz gekommen, da könne man in Brück viel Gutes tun. Der CDU-nahe Bürgerverein präferiert Städte aus dem Sauerland. Mildred-Scheel-Straße gegen Elspe-Weg. Nun gibt es aber in Brück eine rührige Geschichtswerkstatt, die bei ihren Forschungen auf zwei vergessene Brücker Verfolgte des Faschismus gestoßen ist. Nach diesen solle man doch Straßen benennen.

Da gehen auch bei der CDU die Warnleuchten an: „Jetzt bloß nichts Falsches sagen“, und die Diskussion ist wieder ganz offen. Schon liegt mein Seidenschal in der Ecke, mir wächst ein Vollbart und ich sage: „Bürgerschaftliches Engagement ist nützlich!“ Ich denke, sie werden ihre Straßen kriegen.

Ansonsten ist die Namensvergabe traditionell ungerecht. Warum nur „verdiente“ Frauen, gemeint sind hier berühmte wohl. Was ist mit der „Straße der kettenrauchenden Wirtin“. Die Welt verdankt ihr viel. Warum kriegen nur spießige Zierplanzen Straßen und nicht die leckere Kartoffel, der untentbehrliche Knoblauch, der wunderbare Rosenkohl? Und was bitte ist Dornröschen für eine Nulpe gegen Lisa Simpson?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen