der mann mit dem einen objektiv: das metropolis zeigt sechs werke des regisseurs yasujiro ozu: Nichts als das Leben
54 Filme hat der japanische Regisseur Yasujiro Ozu zwischen 1927 und 1962 gedreht. 36 davon sind erhalten und touren anlässlich seines letzjährigen 100. Geburtstags in neuen Kopien durch die Filmmuseen der Welt.
Sechs seiner späten Arbeiten zeigt das Metropolis in den nächsten Tagen, und wer sich nur ein wenig fürs Kino begeistert, kann an diesen Terminen eigentlich nichts anderes vorhaben. Denn die geradezu magische Aura, die Filme auf der Leinwand ausstrahlen können, und die Regisseure von Paul Schrader bis Wim Wenders sowie Interpreten von Frieda Grafe bis David Bordwell Ozus Filmen immer wieder attestiert haben – man spürt sie bei diesen Arbeiten von den ersten Bildern an.
Im Unterschied etwa zu Mizoguchi oder Kurosawa pflegte Ozu einen ganz und gar unspektakulären, scheinbar einfachen Inszenierungsstil. Dieser wurde immer eindringlicher durch die von Film zu Film weiter getriebene Reduktion seiner Verfahren. Legendär sind vor allem Ozus Verwendung von nur einem einzigen Objektiv und sein bevorzugter Kamerastandpunkt von kaum mehr als einen halben Meter über dem Boden. Dies wirkt jedoch nie prätentiös, sondern steht immer im Dienst der Geschichte und der Figuren.
Ein ideales Anschauungsmaterial für jeden Regiestudenten bildet noch immer Ozus typische Art der Szenenauflösung, die mit ihrer etwas anderen Abfolge von Totalen und Großaufnahmen sowie ihren vielen bewussten Achsensprüngen eine echte, bisher kaum wieder aufgegriffene Alternative zum üblichen, von Hollywood geprägten Schuss/Gegenschuss-Standard bietet.
So unspektakulär wie Ozus Stil sind seine fast immer in Tokioter Mittelstandsfamilien angesiedelten Geschichten, die ohne große Dramatik fast beiläufig erzählt werden. Was aber nicht heißt, dass sie nicht von den wichtigen Dingen des Lebens handelten, im Gegenteil: Da reist in „Tokyo Monogatari“ ein älteres Ehepaar aus der Provinz nach Tokio, um seine Kinder noch einmal zu sehen, und muss dann feststellen, dass nur die verwitwete Schwiegertochter ihnen die erhoffte Aufmerksamkeit entgegenbringt. Als nach dem Tod der Großmutter im Licht der aufgehenden Sonne Sätze gesprochen werden wie: „Es war ein schöner Sonnenaufgang“ oder „Heute wird es wieder heiß“, dann liegt in den unsagbar poetischen Bilderns Ozus ganze Melancholie über die Vergänglichkeit des Lebens.
Wenn man mehrere Ozu-Filme hintereinander sieht, fühlt man sich – der beträchtlichen kulturellen Differenz zum Trotz – bald heimisch in seinen stets neu variierten Familienkonstellationen, was sicher auch damit zusammenhängt, dass er immer wieder mit denselben Darstellern arbeitete. Chishu Ryu etwa, der meistens den Vater spielt, setzte Ozu seit 1930 in fast allen seinen Filmen ein. An ihm schätzte er dessen mimische Begrenztheit, die Ozu für den gewollten Typus perfekt erschien. Setsuko Hara, die in dem schwarzweißen „Banshun“ noch als Ryus Tochter zu sehen ist, die nicht heiraten will, und in „Akibiyori“, dem elf Jahre später gedrehten farbigen Remake seine Frau spielt, gab nach Ozus Tod 1963 die Filmarbeit ganz auf. Eckhard Haschen
ab Do., 17.6., 19 Uhr, Metropolis
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