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a última verdadeWellenbrecher

DAS WORT AUS DEUTSCHLAND:Sitzen ist für’n Arsch und auch im heimischen Wohnzimmer ist die Stehplatzkultur zu pflegen

Sitzen ist für’n Arsch. So skandierten einst Fußballfans gegen die tribünenweite Beschalensitzung der Stadien. Richtig Fansein geht nicht im Sitzen, so agitierten sie und setzten durch, dass neben VIP-Lounges, Nichtraucherblöcken und überwiegender Klappbestuhlung in jedem Stadion wenigstens ein paar tausend Stehplätze eingebaut wurden.

Fußballspiele, die in der Glotze übertragen werden, konsumiert man dagegen seit jeher sitzend, ohne dass bisher jemand ernsthaft etwas dagegen einzuwenden gehabt hätte. Anlässlich der EM warnten jetzt allerdings Orthopäden vor dieser wohnzimmerlichen Art von Sitzfußball. Wer nämlich seiner Begeisterung oder seinem Entsetzen über ein Spielgeschehen durch das zu spontane Hochschnellen vom Sofa Luft macht, kann sich dabei möglicherweise böse verletzen. In der meist tiefer gelegten Sitzhaltung und Kauerstellung, die man auf dem heimeligen Polstermöbel einnimmt, verkrampft der Körper unter der Anspannung eines dramatischen Matches noch mehr als sowieso schon. Dazu kommen die üblichen Darreichungen in Form von fettem Chipsgebäck oder sonst welchem schwergängigen Knabberzeug, das einen auch nicht gerade beweglicher macht; vom Bier ganz zu schweigen. Unter solchen trägheitsfördernden Sitzbedingungen kann dann schon mal ein intuitives Hochreißen der Arme nach einem Tor oder ein impulsiv aus den Tiefen des Polsters angesetzter Teppichdiver der Verzweiflung über eine vergebene Großchance schwerwiegende Knochen-, Knorpel- oder Muskelschäden vor allem im Rücken zur Folge haben.

Wenn das nicht Rückenschule machen sollte und ein guter Grund ist, auch im heimischen EM-Studio die Stehplatzkultur zu pflegen. Wie ich das zurzeit meistens tue. Nicht ganz freiwillig ursprünglich und auch nicht aus orthopädischen oder sonst wie vernünftigen Gründen, wie ich zugeben muss. Aber was will man machen, wenn das TV-Sofa bei den 18-Uhr-Spielen fest von den Kindern belegt ist und sich ab 20.45 Uhr meine Frau darauf lang macht, weil sie auf Liegend-Fußball-Gucken (oder eher noch: Fußballer-Gucken) steht; eine Art des Zuschauens übrigens, die man bislang in keiner Arena buchen kann.

Ich aber gucke die EM stehend vor dem Gerät und finde zunehmend Gefallen daran. Richtiges Fußball-Feeling kommt eben nur im Stehblock auf. Gelegentlich würde ich mich allerdings gern mal irgendwo aufstützen. Spätestens für die WM 2006 muss ich mir wohl einen dieser stadionüblichen Wellenbrecher im Wohnzimmer aufstellen lassen.

FRITZ TIETZ

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