: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben
Das Blockbusterkino hat die Atomsprengköpfe in Stellung gebracht. Gezündet werden sie in Filmen wie „Hulk“, „The Core“ oder im nächste Woche anlaufenden „Terminator 3“. Die Explosion wird dabei zum Urknall einer besseren Welt. Doch den Horror der Massenvernichtung bannt sie nicht
von JAN DISTELMEYER
Weil es ein Morgen geben soll, muss der Day after verhindert werden. Kaum eine Bedrohung ist in Hollywood-Filmen derart vielgestaltig angedeutet und ausgemalt worden wie der Schrecken des Atomkriegs, des nuklearen Doomsday. Er lauert in einem mysteriösen Koffer, nach dessen Öffnung uns Robert Aldrichs „Kiss me deadly“ (1955) mit einem Atompilz über Malibu aus dem Kino entlässt. Und er offenbart sich postum, wenn Charlton Heston in Franklin Schaffners „Planet der Affen“ (1968) die ganze Menschheit für die Zerstörung seiner Welt verflucht. Bei der Atombombe hört der Spaß der War Games auf.
Seit einiger Zeit jedoch spielen Nuklearexplosionen und in ihrem Vernichtungspotenzial vergleichbare Detonationen eine andere Rolle. Sie verbinden Ang Lees „Hulk“ (2003) mit der „Zeitmaschine“ (2002), „Blade II“ (2002) mit Tim Burtons „Planet der Affen“ (2001), „The Core – Der innere Kern“ (2003) mit „Terminator 3“ (2003) und bekommen sogar in Peter Jacksons „Herr der Ringe“-Trilogie (2001–2003) einen Cameo-Auftritt.
Neu an diesen Filmen ist nicht die Angst vor dem globalen Desaster. Wer auf den Weltmarkt will, beschäftigt sich logischerweise seltener mit Wohnungsnot in einer texanischen Kleinstadt als mit weltumspannenden Problemen. Kein Wunder also, dass in „The Core“ die ganze Erdkugel vor ihrem Kollaps steht, dass „Die Zeitmaschine“, „Blade II“, der „Planet der Affen“, „X-Men 2“ (2003) und natürlich auch „Terminator 3“ die Vernichtung der menschlichen Spezies beschwören und dass „Der Anschlag“ (2002) den dritten Weltkrieg einzuleiten droht. Das hier geht uns alle an!
Doch während die auffällige Ballung von Weltuntergangszenarien in den letzten zwei Jahren noch auf erprobte Ängste der Filmgeschichte bauen kann, sieht es bei der Problemlösung etwas anders aus. Die Rettung explodiert. Nichts Geringeres als gezielte Atombomben bringen in „The Core“ die Erde wieder in Schwung. Lichtbomben gehen gleißend hoch und raffen in „Blade 2“ die Vampire dahin. Auch der erste Sieg gegen den dunklen Herrscher Sauron in „Herr der Ringe“ wurde von Peter Jackson wie eine Atomexplosion inszeniert. Die Druckwelle fegte sämtliche Häscher des Bösen in Nullkommanix hinweg.
Da bomb rules: Die Wirkung der Atombombe genießt neues Ansehen. Nirgendwo erscheint diese Umwertung drastischer als in Remakes und Adaptionen. So stemmt sich Simon Wells’ „Zeitmaschine“ (2001) sowohl gegen George Pals berühmte Verfilmung von 1960 als auch gegen den Roman von H. G. Wells. Wurde bei Pal die marxistische Gesellschaftsanalyse von H. G. Wells noch in ein Happy End mit Warnung vor der nuklearen Katastrophe überführt, dreht der Urenkel des Autors den Spieß um. Simon Wells’ Zeitreisender verschraubt seine Zeitmaschine flugs zur Massenvernichtungswaffe und dampft damit die fiesen Morlocks in ihren Erdbunkern ein. Klappe zu, Affe tot – befreit geht’s in die Steinzeit.
Sogar Ang Lees Hulk ist, im Gegensatz zu seinem Comic-Vorbild, weniger Opfer als eher Profiteur eines atomaren Knalls. Keine Bombe, sondern die Genexperimente des Vaters haben Bruce Banner die Anlagen zum grünen Choleriker verpasst, weshalb es zum guten Schluss eine Nuklearexplosion sein darf, die den bösen Vater erledigt und dem Hulk zur Flucht verhilft. Ähnlich direkt ist die Umkehrung der Bomben-Rolle in Tim Burtons „Planet der Affen“: Während die ungemein populäre Filmserie der Sechziger- und Siebzigerjahre vor der Bombe mahnte, legt in Burtons Remake die verheerende Detonation einen Großteil der martialischen Affen um und bildet, so scheint es, den Urknall einer gerechteren Welt.
Rüstet Hoolywood auf? Es mag verlockend sein, diese geballte Umwertung eines ehemaligen Schreckens als eindeutigen Trend zu verstehen. Immerhin verspricht sich ein Kreis zu schließen: „Wie reagiert Hollywood?“, lautete die Frage nach den Anschlägen vom dem 11. September 2001. Erste Antworten vermeldeten damals, Hollywood trauere, zeige Pietät und stoppe „aus Respekt vor den Opfern und ihren Familien“ den Start etlicher Produktionen. Der Druck der Ereignisse und der Formate, in denen geschrieben und gesprochen wurde, ließ eine komplexe, arbeitsteilig organisierte und auf Konkurrenz programmierte Industrie wie ein einziges Subjekt erscheinen. Berichte zu den Bemühungen der Bush-Administration vom Oktober 2001, Einfluss auf hochrangige Vertreter des US-Filmgeschäfts zu nehmen, stärkten das Bild. Ein „Einsatzbefehl für Hollywood“ wurde kommentiert, als ob das Notstandsprinzip, in Krisenzeiten Geschlossenheit zu wahren und „mit einer Stimme zu sprechen“, nicht nur die USA und Peter Struck („Heute sind wir alle Amerikaner!“), sondern auch unsere Wahrnehmung Hollywoods beeinflusste.
Natürlich geschah dieser Schrumpfungsprozess Hollywoods zu einem Körper wider besseres Wissen. Zu gut haben wir das Spiel des Blockbuster-Kinos verstanden: Um mit einem Film möglichst viele Publikumsgruppen erreichen zu können, integrieren Blockbuster verschiedene Angebote, der unter dem „Matrix“-Markenzeichen feilgebotene Flickenteppich aus Esoterik, Proseminar-Themen, Bibelkunde, Filmgeschichte und Action-Schauwerten illustriert die Methode. Hollywood, wenn man denn von „dem Hollywood-Kino“ sprechen will, spürt Bedürfnisse auf, weckt, bedient und formt sie gleichermaßen. Dominante Muster im Umgang mit Bildern und Zeichen haben mit uns zu tun: Sie sind sowohl Spiegel als auch Motor kultureller und politischer Prozesse. In diesem Doppelspiel ist Platz für unsere Teilnahme.
Genau darum könnte ein erster Impuls dazu führen, die neue Rolle der nuklearen und quasinuklearen Explosionen als Antwort von uns zu weisen. Hollywood reagiert. Das Imperium schlägt zurück, oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben. Doch so rund damit das Bild eines neuen Masterplans für Hollywood auch würde: Es ist nicht stimmig. Dabei kommt es nicht so sehr auf den zeitlichen Faktor an (die meisten dieser Filme wurde vor dem 11. September 2001 gedreht oder konzeptioniert). Viel wichtiger ist ein Widerspruch, der in den Filmen selbst ruht. Er zeigt uns, wie Blockbuster auf dem Weg zu ihrer Bestimmung auf die Suche gehen. Das Motiv der Massenvernichtung entpuppt sich als das spektakulärste Beispiel, wie aktuell im US-Actionkino um Bedeutung gerungen wird.
Denn auch die positive Vereinnahmung der Bombe kann in den meisten Fällen den Schrecken ihrer Herkunft nicht abwenden. So wird in „The Core“ zwar der Planetenkollaps im Auftrag der Regierung mit Atomsprengköpfen verhindert, zugleich aber auch der Ursprung dieses Weltproblems als ein Produkt der US-Militärs und ihrer Weapons of Mass Destruction enttarnt. Die Rettung durch die Explosion bannt nicht die Angst vor den Kollateralschäden einer Gesellschaft, die solche Waffen zu entwickeln vermag. Diese Ambivalenz steckt auch in Ang Lees „Hulk“, in dem der Vater des Helden genau durch jene Bombe umkommt, die er einst zu bauen half. Selbst „Die Zeitmaschine“ und Burtons „Planet der Affen“ tragen unweigerlich die Erblast mit sich, dass die verheerende Zukunft, in der sich die Helden wiederfinden, ein Produkt ihrer eigenen Zivilisation ist.
Der Horror der Massenvernichtung und der erfolgreiche Einsatz von Massenvernichtungswaffen heben sich nicht gegenseitig auf, sondern prägen als Widerspruch weite Teile des aktuellen Mainstream-Kinos. Beide Aspekte sind gewissermaßen „in der Welt“ wie der mächtige Tolkien-Zauberring, der als Gabe und Versuchung gleichermaßen nur am Ort seiner Entstehung zerstört werden kann, und fordern Aufmerksamkeit. Es ist schwer, dabei nicht an die fatale Antinomie zu denken, der sich nicht nur die USA seit geraumer Zeit gegenübersehen. Auch der Widerspruch, Krieg zur Vermeidung eines Krieges zu führen und den Einsatz „benutzbarer“ Atomwaffen vorzubereiten, um Staaten an der Entwicklung und Benutzung von Massenvernichtungswaffen zu hindern, gehört zu unserer Realität. Wenn hier eine Parallele zwischen dem populären Film und der Weltsicherheitslage existiert, dann jene, dass der grundlegende Waffenwiderspruch auch im Kino nicht aufgelöst werden kann.
Die Lage ist so ernst wie verfahren. Und wer hätte gedacht, dass es wieder der Terminator ist, der gleichsam als „Unbeteiligter“ unser Problem auf den Punkt bringt. Als vielleicht angenehmste Überraschung der diesjährigen Großproduktionen konzentriert sich Jonathan Mostows „Terminator 3“ auf einen lakonischen Materialismus. Was kaputtgeht, geht kaputt. Diesmal hat Schwarzeneggers T 101 nach der ersten Actionszene fast so viele Macken im Gesichtsfleisch wie beim Finale von „T 2“. Am Ende von „T 3“ geht eine gigantische Explosion mit der Angst vor dem Atomkrieg ein Verhältnis ein, das wie ein kluger Kommentar zu den aktuellen Massenvernichtungs-Blockbustern funktioniert. Der letzte Satz des Films spricht Bände: „Vielleicht ist die Zukunft schon geschrieben.“
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