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August der Starke

Auch der Virus hat ihn nicht gestoppt: August Smisl, Wahl-Bremer und Grippe-geschwächt, ist Deutschlands bester Armdrücker: Am Wochenende machte er bei den Europameisterschaften im Armwrestling den dritten Platz

„Was is’n das“, fragt der Sohn den Vater. Der antwortet: „A Bledsinn.“

Aus BremenSUSANNE GIEFFERS

„Tschuijun“, schnieft der 132-Kilo-Mann, schnaubt in ein Taschentuch und sagt mit tränenden Augen: „Der Virus ist weg, aber die Nebenhöhlen sind noch dicht.“ Deshalb hatte August Smisl, deutscher Meister im Armdrücken, noch vor Tagen nicht gedacht, dass geschehen würde, was am Wochenende geschah: Der Wahl-Bremer erreichte bei den Europameisterschaften im Armwrestling in Hanau den dritten Platz im Schwergewicht und wurde damit bester Deutscher: Europameister im Armdrücken mit rechts wurde der Alexej Voevoda aus Russland, mit links der Slowake Rastislav Tomaga. Auch die Vizetitel gingen an Männer aus Osteuropa.

Smisl ist erst seit einem Jahr aktiver Armdrücker. „Naturkräftig“ sei er, war er schon immer, erzählt der 35-Jährige. Mit 15 hat er gemerkt, dass es sein Körper sein kann, der ihn wegbringt aus Kapfenberg, einer kleinen Stadt in der Obersteiermark, wo sein Vater Metzger ist. „Nichts gegen Kleinstädte“, schiebt Smisl hinterher, aber aus Kapfenberg wollte er raus. Auch weil er sich dort sein erstes eigenes Geld als Türsteher verdiente. „Da landet man ganz schnell in einer Schublade.“ Eine, in die er nicht wollte.

Eine wäre auch viel zu wenig. August Smisl bräuchte mindestens acht Schubladen und in keine würde er so richtig passen: Türsteher, Kampfsportler, Elektriker, Arztopfer, Catcher, Geschäftsmann, Artenschützer, Konstrukteur. Und Armdrücker.

Im Judo erprobt er als Teenager seine Kräfte. Da ist er so schnell so gut, dass er – ohne Trainer, ohne Begleitung – alleine aus Kapfenberg auf große Wettkämpfe fährt. Er geht zum Militär. Nur dort sieht er die Chance, als Judoka weiterzukommen. Nach der Grundausbildung nur noch Judo, Uniform nur einmal im Jahr, fürs Foto bei den Militärmeisterschaften, „das war’s“, erzählt der Muskelmann.

Großes Ziel ist die Oympiade in Barcelona 1992. Weil er sich beim Kämpfen die Nase gebrochen hat und das Luftholen schwer fällt, will er sich 1990 operieren lassen. „Routine, haben die gesagt“, so Smisl, „nach zwei Monaten sollte ich wieder ganz normal trainieren können.“ Mit einem Stück Knochen aus der Hüfte soll Smisls Nase wieder gerade werden. Doch die Wunde an der Hüfte entzündet sich, „die war dann ein Jahr lang offen.“ Smisl schweigt, schaut in seinen Cappuccino, holt Luft und sagt: „Damit war alles in Frage gestellt, wofür ich gearbeitet habe. Und eigentlich auch gelebt.“ Barcelona ade.

Er wird wieder Türsteher. Kaum eine Disko in Wien, an deren Tür nicht er und seine Leute stehen. Er weiß: „Das kann nix für immer sein.“ Auf der Abendschule will der gelernte Betriebselektriker seinen Meister machen. „Ich hatte mich damit abgefunden, einen ganz normalen Job zu machen“, sagt er, „zu dem ich eigentlich keine Lust habe“.

Da kommt Otto Wanz. Big Otto. Einst Weltmeister im Catchen, jetzt Organisator von rauschenden Ringerfesten und Erfinder des Wettbewerbs der stärksten Männer Österreichs, der „Austrian Giants“, mit Disziplinen wie „Taxi ziehen“ oder „Tresor heben“. Das ist 1992. Da geht August Smisl auf seine Meisterschule, fern von Barcelona.

Ob er nicht catchen wolle, fragt ihn da Otto Wanz. „Tut mir leid, das ist nicht meins“, habe er geantwortet, erinnert sich Smisl. Und erzählt von einem Tag seiner Kindheit. Sein Vater schlägt hinter der Schlachtertheke Fleisch in Zeitungspapier ein, in die Kronen Zeitung, drin ein Bild von Otto Wanz. „Was is’n das?“, fragt der Sohn den Vater und deutet auf den Fleischigen unter dem Fleisch. Sein Vater antwortet: „A Bledsinn.“

Ein Blödsinn, das hat August Smisl noch im Kopf, als er Wanz an der Strippe hat. „Aber dann sagte mir Otto, was ich bei ihm verdienen kann.“ Drei Tage später steht Smisl bei Wanz im Büro.

Es beginnen Jahre, die Smisl heute „ganz lustig“ nennt. Ganz lustig – es muss gigantisch gewesen sein. Smisl mimt den Naturburschen aus den steirischen Bergen, den liebenswert Verrückten. Sein Erkennungszeichen: Tirolerhut und Tuch. Das Publikum liebt ihn. „Alles umgekehrt wie’s normalerweise im Leben läuft“, sagt Smisl, „die ganzen Mädels himmeln einen an“.

Catchen ist Show, Smisl entdeckt den Entertainer in sich. 1996 dann ist er „am Zenit“, wie er heute weiß. Er gewinnt haufenweise Wettbewerbe, in Japan hat er gegen Nippons größten Ringer gekämpft, eine neue Japan-Tour steht an – da verletzt er sich bei einem Turnier in Bremen das Knie. Krankgeschrieben und gelangweilt ruft er in Hannover bei einer Sozialagentur an: Ob er nicht was tun könne. Kann er. Reklame für Artenschutz. Was als Wochenfüller gedacht war, wird Smisls Job die nächsten zwei Jahre. Er tingelt durchs Land, klärt auf über seltene Arten, macht Aktionen gemeinsam mit dem Zoll an Flughäfen. Eines Tages ist er auf dem Weg Richtung Nordsee, als sein Handy klingelt.

New York ist dran, die World Wrestling Federation: Ob er nicht wieder catchen wolle. Smisl wittert die alten Zeiten, aber wirklich wichtig sind sie ihm nicht mehr. Er pokert hoch, als er um seinen Wiedereinstieg verhandelt – und verliert. „Mir tat’s nicht weh.“

In dieser Zeit steht in den staubigen Straßen des Bremer Hafens, zwischen Möbellagern und Getreideflockenherstellern, ein großes Haus leer, ein ehemaliges Asylbewerberheim. Smisl kauft es 1999 und baut es um. Erst habe er wieder nicht gewollt, erzählt er, Freunde hätten ihn überzeugen müssen. Heute betreibt Smisl nach eigener Aussage mit „Top Gym“ eines der größten Fitness-Studios in Bremen.

Vor einem Jahr beginnt er mit dem Armdrücken, wenig später ist er Deutscher Meister. In seinem Studio steht zwischen den gepolsterten Trainern für Bauch, Beine, Po ein Gerät, das Smisl selbst entworfen hat: die Armwrestling-Maschine. Ein stählerner Holm simuliert den Unterarm des Gegners, ein metallenes Kugelgelenk seinen Ellbogen, Gewichte bis 170 Kilo seine Kraft. Der Armdrücker aus Stahl war im Frühjahr auf der Essener Fitnessmesse „FIBO“ ausgestellt.

August Smisl, erst Kampfsportler, dann Catcher, jetzt Armdrücker – „vielleicht ein Ausklingen“, formuliert Smisl und schaut einer Gewitterwolke hinterher, deren wenige Tropfen an der silber schimmernden Fassade seines Fitnesscenters herunterperlen. „Vielleicht trau’ ich mich über mehr nicht drüber.“ Er lächelt und es scheint, als denke er anderes.

Es sieht so aus, als sei August Smisl vieles leicht gefallen im Leben. Er zuckt die Schultern, „mag sein“, sagt er. Aber da ist was, das er nie erreicht hat: Er hätte gerne mal ein Buch geschrieben. „Ich hab sehr darunter gelitten, dass ich wusste, ich werde das nie schaffen.“ In seiner Zeit bei der Armee hat er viel gelesen. „Aber die Kunst des Sich-ausdrücken-Könnens, die war eben nicht da.“ Er berichtet von einem Freund, der Schriftsteller ist. „Der wollte aber immer groß und stark sein“, erzählt Smisl. Sein Freund habe zu ihm, dem großen Starken, gesagt: „Schäm’ dich nicht. Nutze es.“ Erst da, sagt August Smisl und lehnt sich zurück, „erst da hab’ ich angefangen, mich wirklich zu mögen.“

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