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lost in lusitanienJenseits von Ottos Schreckenskammer

MATTI LIESKE besucht den Fanpark in Lissabon, bestaunt Wasserfontänen und freut sich über moderate Bierpreise

„Thar she blows“, ist man geneigt auszurufen, denn ein wenig kommt man sich vor wie an Bord der Pequod des Captain Ahab auf der Jagd nach Moby Dick. Es ist aber nur einer der Brunnen an der Alameda dos Oceanos im Lissaboner Stadtteil Olivais, der in regelmäßigen Abständen gewaltige Wasserfontänen ausstößt, fast so imposant wie die eines weißen Wales mit bösen Absichten. Allzu sehr lassen sich die Menschen im angrenzenden Fanpark aber nicht ablenken vom wässrigen Schauspiel, ihr Blick ist auf die riesige Leinwand gerichtet, wo gerade das Viertelfinalspiel zwischen Tschechien und Dänemark abläuft.

Dies ist die größte und schönste jener Örtlichkeiten, wo Fußballfans, die es nicht ins Stadion geschafft haben, die Partien der Europameisterschaft verfolgen können. Direkt am Wasser gelegen, mit Blick auf den Tejo, die vorübergondelnden Kabinen der Seilbahn und die Vasco-da-Gama-Brücke, die ebenso wie dieser gesamte Komplex an der Doca dos Olivais für die Weltausstellung 1998 gebaut wurde. Es gibt den modernen Bahnhof Oriente, ein riesiges Einkaufszentrum mit Multiplex-Kino, blühende Grünanlagen, große Veranstaltungshallen wie den Pavilhão Atlántico, in dem das Pressezentrum der EM untergebracht ist, und vor allem eine lange Uferpromenade mit etlichen Restaurants und Bars, die so angesagt sind, dass man auch mal jemanden wie den ausgemusterten portugiesischen Nationalspieler Abel Xavier mit frisch ondulierter Haar- und Barttracht antrifft. „Hier findet die dritte Halbzeit statt“, wirbt ein Plakat. Das Vorspiel übrigens auch, wie etliche auf den bauschigen Liegesesseln des Biersponsors in die Sonne gefläzte und völlig erledigte Gestalten belegen.

Wie viele alte Hafenstädte hatte Lissabon in der Vergangenheit sein Flussufer, das an dieser Stelle eher einem Meeresgestade gleicht, komplett ignoriert. An die Küste baute man Bahnlinien, Lagerhallen, Fabriken, Docks, aber keine Wohngebiete, Spazierwege oder gar Parks. „Die Stadt wendet sich dem Meer zu“, hatte einer von Barcelonas Slogans gelautet, mit denen die katalanische Metropole ihr städtebauliches Konzept für die Olympischen Spiele 1992 bewarb. Ähnlich hielt es Lissabon mit der Expo vor sechs Jahren. 560 Millionen Euro gab die portugiesische Regierung für die Weltausstellung aus, noch ein bisschen teurer war mit 650 Millionen der Stadionbau für die EM – nicht jedoch für den Staatshaushalt. Der musste für das Fußballturnier nur 137 Millionen investieren, den Rest steuerten die Fußballklubs und die Gemeinden bei. Der Parque das Naçóes erschloss anlässlich der Expo einen ausgedehnten Uferbereich als Erholungsgebiet für die Bevölkerung, welche dieses Angebot vor allem am Wochenende gern genießt. Live-Musik in den Bars bereits am Nachmittag, vielfältige gastronomische Varianten von irisch über japanisch bis brasilianisch und diverse Spielmöglichkeiten für Kinder machen Ausflüge nach Olivais attraktiv, erst recht, wenn gerade eine Fußball-Europameisterschaft läuft.

Der Nationenpark erweist seinem Namen in dieser Zeit alle Ehre, vor der großen Leinwand sind Trikots nahezu sämtlicher beim Turnier vertretener Mannschaften zu sehen, da viele Fans ihren ausgeschiedenen Teams keineswegs nach Hause gefolgt sind, sondern noch ein bisschen Portugal-Urlaub anhängen. Und wer noch kein Trikot hat, der kann es gleich auf der anderen Straßenseite im Uefa-Superstore erwerben, wo es nicht nur Spielkleidung, sondern auch jede Menge T-Shirts, Espressotassen, Regenjacken, Kugelschreiber, Kaffeebecher, Bälle und sonstige Gegenstände mit Euro-2004-Emblem zu kaufen gibt. Manches sogar überraschend geschmackvoll und zu erschwinglichen Preisen. Überhaupt ist es ein positives Element dieser EM, dass der extreme Preiswucher, der sonst derartige Großereignisse, besonders Olympia, begleitet, in Portugal kaum stattfindet.

Das gilt auch für den Bierstand im Fanpark, wo der halbe Liter moderate 2,20 Euro kostet. Bei den Spielen der Portugiesen tummelten sich hier tausende und bejubelten frenetisch die Triumphe der rot-grünen Mannschaft. Bei Tschechien – Dänemark sind es nur ein paar hundert, und eine erkleckliche Anzahl Fanpark-Besucher zieht es zunächst noch vor, mit großer Anteilnahme ein Beachsoccer-Match zu verfolgen. Kein Wunder, es steht eine portugiesische Mannschaft auf dem Platz. Natürlich ist dieser Fanpark auch Darstellungsplattform für die offiziellen Sponsoren des Turniers, die alle mit ihren Pavillons, Verköstigungsständen, Streetsoccerfeldern und Funfußballeinrichtungen wie Air Goal, Human Table Football oder Penalty Podium vertreten sind. Für die Traditionalisten unter den Fans gibt es aber auch ein paar ganz ordinäre Kicker-Apparate.

Die akustische Hoheit hat am Sonntag zunächst das dänische Kontingent im Publikum, vor allem als ihr Team nach 15 Minuten ins Spiel findet und ein paar Torchancen hat. Das restliche Fußball-Europa scheint eher hinter den Tschechen zu stehen, dessen Trainer Dänemark leider nicht den Gefallen getan hat, der Devise „Never change a winning team“ zu folgen. Die Tore von Koller und Baros werden mächtig bejubelt, aber vielleicht freuen sich die Leute ja nur, dass überhaupt mal wieder Tore fallen, nach der kargen Ausbeute in den beiden vorhergehenden Partien. Einig sind sich am Ende alle, dass Tschechien und Portugal bisher den besten Fußball gespielt haben bei dieser EM, und es das reinste Wunder wäre, wenn sie nicht das Finale bestreiten würden. Man darf davon ausgehen, dass in irgendeinem finsteren Kämmerlein des Schreckens gerade Otto Rehhagel hockt und genau an diesem Wunder arbeitet.

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