: „Ein paarmal habe ich schon gekifft“
Zwei Fraktionschefs, ein Thema: Volker Ratzmann, Grüne, und Martin Lindner, FDP, fordern einen liberaleren Umgang mit Cannabis. Der eine will Haschisch im Apothekensortiment, der andere Coffeeshops nach niederländischem Vorbild. Beide wissen, wovon sie reden – sie haben selbst gekifftInterview ROBIN ALEXANDER
taz: Warum wollen Sie gerade hier in Berlin einen Feldversuch zur kontrollierten Abgabe von Cannabis durchführen?
Volker Ratzmann: Berlin hat nicht genügend Ressourcen, um sie im justiziellen Bereich länger unsinnig zu vergeuden. Die Verfolgung von Cannabis-Usern ist eine völlig unsinnige Vergeudung der teuren Ressource Justiz.
Bei geringen Mengen werden die Verfahren doch eingestellt.
Schon. Das heißt aber nicht, dass Staatsanwaltschaften sich gar nicht mit diesem Thema beschäftigen. Der Polizeibeamte muss Anzeigen fertigen und Akten anlegen. Der Staatsanwalt prüft, ob es sich um einen Erst-, Zweit- oder Dritttäter handelt, ob Vorstrafen vorliegen und vieles mehr. Da geht viel Arbeit rein. Pro Monat haben wir in den Drogenabteilungen 1.400 Eingänge, von denen 70 Prozent eingestellt werden. Es wäre besser, wir würden uns auf die Verfolgung von Dealern konzentrieren statt Konsumenten zu verfolgen.
Ist die finanzielle Begründung nicht unangemessen? Gegner der Todesstrafe argumentieren nicht, Strom für den elektrischen Stuhl sei teuer.
Der Vergleich ist unangemessen. Natürlich bin ich auch generell dafür, dass Cannabisgebrauch nicht länger kriminalisiert wird. Das ist eine Art der Rauschmittelzuführung, die sich durch nichts von der Einnahme von Alkohol unterscheidet. Der Staat verhält sich inkonsequent. Alkoholkonsum wird als eine gewohnheitsmäßige Nutzung von Drogen akzeptiert. Damit verdient der Staat sogar Geld! Aber Cannabis, dessen gesundheitlich schädliche Auswirkungen geringer sind, wird kriminalisiert. Dabei ist beides schädlich, wenn man zu viel davon einnimmt. Es hat sich gezeigt, dass das Steuerungsinstrument Strafrecht zur Reduktion des Drogenkonsums nicht taugt.
Wie sähe der Versuch aus?
Die User könnten in der Apotheke Cannabis kaufen. Damit würden wir die jetzt existierenden Handelsstrukturen zerschlagen. Cannabis anderswo zu kaufen, würde weiter strafbar bleiben. Das Ganze ist zulässig aus wissenschaftlichen Gesichtspunkten heraus und im Rahmen des Betäubungsmittelgesetzes durchführbar. Berlin wäre der ideale Ort für diesen Versuch, denn hier hätten wir das notwendige Potenzial aufgeschlossener Apotheker und eine Konsumentenstruktur, die das Ganze tragen würde. Außerdem gibt es hier ausgezeichnete Suchtmittelforscher, die den Versuch begleiten könnten.
Tut der Senat etwas?
SPD und PDS haben in ihrer Koalitionsvereinbarung vereinbart, die Durchführung solcher Vorhaben zu prüfen. Leider tun sie es bis heute nicht.
Haben weiche Drogen nicht schon heute eine höhere Akzeptanz in Berlin als anderswo?
Der Gebrauch von Cannabis ist hier sicherlich seit Jahren en vogue. Es ist vielleicht auch nicht schlecht, wenn die Leute, die sich über die Stadt Gedanken machen, ab und zu mal einen Joint rauchen und sich nicht immer nur Bier in den Kopf schütten.
Auch Ihre Fraktionsmitglieder machen sich Gedanken über die Stadt. Mit oder ohne illegale Hilfsmittel?
Sie wissen doch: Wir Grünen halten viel von Privatssphäre und Datenschutz. Ich weiß wirklich nicht, wer bei uns kifft und wer nicht kifft, es interessiert mich auch nicht.
Kifft denn der Vorsitzende?
Natürlich habe ich schon einmal gekifft. Da ich nicht US-Präsident werden möchte, kann ich sogar zugeben, inhaliert zu haben. Aber heute genieße ich lieber ein Glas Rotwein als einen Joint. Von daher kann ich auch ehrlichen Herzens hinzufügen, dass ich im nicht verjährten Zeitraum nicht mehr gekifft habe. Alkohol und Cannabis vernebeln die Sinne, und ich halte sehr viel davon, einen klaren Kopf zu haben.
Sogar Ihr Kollege von der FDP, Martin Lindner, fordert die Legalisierung. Auch ein Zeichen für die gestiegene Akzeptanz?
Ja, das zeigt, wie normal es geworden ist, Cannabis zu konsumieren. Ich kann nur begrüßen, wenn Herr Lindner die Legalisierung fordert. Ich glaube, für ihn persönlich ist es auch gut, wenn er ab und zu mal kifft, um ein bisschen runterzukommen.
Interview ROBIN ALEXANDER
taz: Herr Lindner, warum fordern Sie die Legalisierung weicher Drogen?
Martin Lindner: Gerade als Vater von zwei Kindern wäre es mir lieber, wenn eine Droge wie Cannabis, die seit dreißig Jahren an Schulen präsent ist, in einem Coffeeshop gekauft werden kann und nicht bei einem Drogendealer, der noch ganz andere Sachen im Repertoire hat.
Wie alt sind Ihre Kinder?
Meine beiden Jungs sind fünf und sieben. Aber da kann man nicht früh genug aufpassen. Heutzutage gibt es Drogen schon in Grundschulen.
Ihnen schwebt das niederländische Modell vor: die legale Abgabe von Cannabisprodukten in Coffeeshops.
Genau. Es ist wichtig, dass der Staat die Spreu vom Weizen trennt. Cannabis sollte anders behandelt werden als harte Drogen. Es ist doch unerträglich, dass wir Gesetze haben, die mit tausend Ausnahmeregelungen versehen sind und in ihrer Konsequenz nicht umgesetzt werden. Der Konsum weicher Drogen wird doch schon heute nicht mehr wirklich verfolgt. Bei Mengen bis zu sechs Gramm werden die Verfahren regelmäßig eingestellt. Da macht sich der Staat lächerlich. Letztlich dient das Gesetz nur noch dazu, dass sich die Dealer bereichern.
Ihr Vorschlag wäre?
Mein liberaler Ansatz ist: Der Staat beschränkt sich auf einen Kernbestand von wirklich nötigen Regeln, die dann auch einzuhalten sind. Ein zweiter Punkt ist die Gerechtigkeit. Cannabis ist nicht gefährlicher als Alkohol, sondern harmloser. Natürlich hat, wer sich über lange Zeit täglich zukifft, irgendwann nur noch Matsch in der Birne. Aber das gleiche Resultat erreicht man mit ein, zwei Flaschen Barolo täglich auch.
Sind diese Vorstellungen mehrheitsfähig in der FDP?
Diese Auseinandersetzung müssen wir jetzt führen. Deshalb möchte ich auch einen entsprechenden Antrag auf der Bundesebene unserer Partei stellen, damit sie sich für eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes stark macht. Ich bin sicher, dass sich in der FDP letztlich eine Mehrheit für die Legalisierung von Cannabisprodukten findet.
Wie viele Liberale haben denn eigene Erfahrungen mit Cannabis?
Von den jungen Leute bis zu den 50- bis 60-Jährigen hat doch heute jeder einmal Erfahrungen mit Cannabis gemacht. Schon als ich 1974 ins Gymnasium kam, fiel es meinem Vater schwer, für mich eine Schule zu finden, auf der noch niemand mit Haschzigaretten erwischt worden war. Und das war vor 30 Jahren! Heute wären die Direktoren froh, wenn Hasch die einzige Droge an ihrer Schule wäre.
Haben Sie dann doch noch selbst Drogenerfahrungen gemacht?
Ja, ich bin zwar nicht in der Lage, einen Joint zu bauen, aber ein paarmal habe ich schon gekifft.
In Kreisen von Besserverdienenden soll es ja bisweilen auch zu Kokainkonsum kommen.
Mit Kokain habe ich überhaupt keine Erfahrung und wünsche auch keine. Das ist ein chemisches Produkt, wo man nie genau weiß, was wirklich drin ist. Kokain ist eine Droge, die Menschen zerstören kann.
Gibt es im Abgeordnetenhaus viel Drogenkonsum? Vielleicht um den Stress des politischen Betriebs besser bewältigen zu können?
Das kann ich nicht beurteilen. Aber wegen Stress sollte man Drogen sowieso nicht nehmen. In entspannter Atmosphäre kann man allerdings schon einmal einen guten Rotwein oder ein Bier zu sich nehmen …
… oder einen Joint …
… oder einen Joint meinetwegen. Das ist mir auch in der Erziehung meiner Söhne wichtig. Ich möchte ihnen den richtigen Umgang mir Rauschmitteln vermitteln: Immer nur in Momenten, wo man schon einen hohen Grad an Zufriedenheit hat. Aber niemals zur Lösung irgendwelcher Probleme!
Denken wir 15 Jahre weiter: Familie Lindner empfängt die studierenden Söhne zum gemeinsamen Abendessen. Anschließend gibt es einen Kognak, und die Söhne drehen sich einen Joint.
Das werden wir dann sehen.
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