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Kosmos im Kleinen

Mit „kiss and run“ startet heute um 23.00 Uhr die „Gefühlsecht“-Reihe des kleinen ZDF-Fernsehspiels

Der Fernsehsommer ist lange nicht so öde, wie die Wiederholungen des immer gleichen Schmonzes zur Primetime suggerieren. Denn im Juli und August rückt regelmäßig das „kleine Fernsehspiel“ des ZDF, das sich sonst nach Mitternacht um die Verwaltung des Filmnachwuchses kümmert, mit seiner Reihe „Gefühlsecht“ auf einen Sendeplatz vor, den optimistische Programmgestalter die zweite Primetime nennen.

Es ist die Zeit irgendwann nach dem „heute journal“, und nicht selten haben die dann gezeigten Produktionen eine solch hohe Durchlässigkeit zur hiesigen Lebenswirklichkeit, dass der Stil der Filme schon nachrichtlich genannt werden kann: Hier wurde das multiethnische Geschehen in den Metropolen verhandelt, ehe der Stoff mainstreamkompatibel wurde; hier reichte lange vor der EU-Erweiterung die Filmhandlungen in die Länder des ehemaligen Ostblocks hinein. Systemschwankungen und ihre Abdrücke im Privaten wurden bei „Gefühlsecht“ immer aktuell beleuchtet.

Auch die diesjährige Auswahl kann sich sehen lassen. Zwar wird die Reihe heute durch „kiss and run“ ausgerechnet mit einer relativ banalen Aufklärungskomödie eröffnet, die trotz enthemmter Pornografie-Philosophierei nicht freigeistig genannt werden kann – und die trotz Hochhaussiedlung wenig mit der Wirklichkeit der Städte zu tun hat. Doch der Rest der Filme gewinnt seine erzählerische Schärfe aus der genauen Beobachtung realer Kosmen: Daphne Charizani erzählt in „Madrid“ (9. Juli, 23.05 Uhr) von einer spanischen Kassiererin in einem deutschen Supermarkt. Eoin Moore schickt in „Pigs Will Fly“ (16. Juli, 23.00 Uhr) einen Schläger aus dem Märkischen Viertel Berlins auf einen Selbstfindungstrip nach San Francisco – was ihn auch nicht zu einem besseren Menschen macht.

Ebenso verstörend ist „Fremder Freund“ (23. Juli, 23.05 Uhr), der einzige ernst zu nehmende deutsche Versuch, die kollektive Verunsicherung nach dem 11. September aufzuarbeiten. Regisseur Elmar Fischer und Drehbuchautor Tobias Kniebe suchen die Spuren des weltpolitischen Dramas konsequent im kleinsten privaten Kosmos – einer WG, in der zwei Studenten Leben und Liebe feiern, bevor einer der beiden dem religiösen Fundamentalismus anheim fällt. Wie sich anhand einer Jungsfreundschaft gesellschaftliche Sachverhalte verhandeln lassen, zeigt am Ende der Reihe auch „Kleine Freiheit“ (16. August, 0.35 Uhr) von Yüksel Yavuz, der junge kurdische und afrikanische Flüchtlinge in Hamburg beim Überlebenskampf in der Illegalität zeigt – ein zärtlicher Film über die Pubertät und zugleich kämpferisches Statement. CHRISTIAN BUSS

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