piwik no script img

Hossa-Gemeinde nahezu abgesoffen

Hamburger Schlagermove: Platzregen ertränkt Event, trotzdem tanzen Hartgesottene weiter. Rund 250.000 Fans und Schaulustige auf den Straßen. Mancher Zaungast wunderte sich über Wiedergeburt des deutschen Schlagers

Die jungen Frauen, die sich am Samstag von ihren Müttern die alten Plateaus für das Event ausgeborgt hatten, befanden sich zumindest in einem Punkt im Vorteil – sie bekamen in der hohen Schuhmode der 70er Jahre auf dem Schlagermove auf St. Pauli keine nassen Füße. Hingegen zeigten Minirock und Kniestrümpfe oder Hot Pants keine Vorteile, um beim Wettermix aus heftigen Wolkenbrüchen und kurze Sonnenschein Spaß aufkommen zu lassen – außer eben aufzufallen. Und so musste bei den Aktiven in vielen Fällen die Pulle Barcardi-Rum oder Alkopops herhalten, um vor den Trucks bei Boney M.‘s „Moskau“, Georg Bakers „La Paloma“, Jürgen Drews‘ „Ein Bett im Kornfeld“, oder Rex Gildos „Hossa“ und Michael Holms „Mendocino“ klitschnass Tanzstimmung aufkommen zu lassen.

Dabei sollte der 8. Hamburger Schlagermove mit 36 Trucks ein Event der Superlative werden. Doch das rauhe Wetter hatte wohl viele abgehalten, anders wie in den Vorjahren für das Event die alten Klamotten der Eltern anzuziehen, wenngleich auch diesmal noch 250.000 Zuschauer die Straßen säumten.

Ein Rätsel bleibt dennoch, warum die Töchter und Söhne der 70er-Generation plötzlich den deutschen Schlager wiederentdeckt haben. Vielleicht weniger wegen der Schnulzen selbst, die von den Eltern damals belächelt wurden, sondern um ihren aufmüpfigen Eltern nachzueifern. Nach dem spießigen Mief der Nachkriegszeit drängten die 70er auf neue gesellschaftliche Werte. Provozierende Outfits – bei Frauen der kurze Rock oder eben besagte Hot Pants – wurden zum Ausdruck von Emanzipation, lange Mähnen bei den Männern zum Symbol der gesellschaftlichen Renitenz.

Und das findet offenkundig bei den Kindern dieser Generation eine gewisse Resonanz. Einmal im Jahr in freche Klamotten werfen und aus dem braven Alltag ausbrechen. Auch wenn der Schlager nur Vehikel für Karnevalersatz ist. KAI VON APPEN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen