: „Wundersame Heilung“
Eltern und ErzieherInnen sind auf den Barrikaden: Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) streiche den Kitas das Geld. Die kontert: Für Betreuungsarbeit gebe es sogar mehr
Bremen taz ■ Alles halb so furchtbar, kein Grund für den heutigen Streik erkennbar. So stellte Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) gestern die Situation für die Beschäftigten der Bremer Kindertagesheime (KTH) dar.
Der „pauschale Vorwurf“, in diesem Bereich werde gekürzt, sei „nicht gerechtfertigt“. Die Stadt werde 2004 für die Kindertagesbetreuung 81,9 Millionen Euro ausgeben, 3,8 Millionen mehr als noch im Vorjahr. Die KTHs würden von allen Einsparungen und Haushaltsperren verschont, so Röpke. Das sei man den katastrophalen PISA-Ergebnissen schuldig.
Die Senatorin stellte weiterhin klar, dass es im kommenden KTH-Jahr nicht zum vielfach befürchteten Abbau von Hortplätzen komme, da die Versorgungsquote von 15 Prozent aller Schulkinder weiterhin gewährleistet werde. Auch für 97 Prozent aller Drei- bis Sechsjährigen sei 2004/2005 ein Kindergartenplatz garantiert. Nach Auskunft der Senatorin erhöht ihr Ressort zudem den Zuschuss für Betreuungsgruppen von Kindern unter drei Jahren um 700.000 Euro.
Weniger Geld gebe es allerdings für Material- und Einrichtungsgegenstände. Der bisherige Träger der ab August im Eigenbetrieb geführten KTHs der Stadt Bremen habe den Haushalt 2003 um 20 Prozent überzogen: Geld, das es jetzt eben wieder einzusparen gelte, so Röpke. Trotzdem stehe eine Erhöhung der Elternbeiträge um bis zu zwei Prozent frühestens für das KTH-Jahr 2005/2006 an.
Geringer wird die Anzahl der Ganztagesplätze im KTH-Angebot nach den Sommerferien sein. Röpke hat in demografischen Erhebungen festgestellt, dass es in Bremen von Jahr zu Jahr eben weniger Kinder gebe, so dass das Angebot reduziert werde könne.
Renate Moskal, Leiterin des Kinderhaus Sielwall, beklagt aber, dass Eltern für einen Ganztagesplatz jetzt auch eine täglich siebenstündige Erwerbstätigkeit nachweisen müssten. Damit reduziere sich die Zahl der Anspruchsberechtigten deutlich. Christian Gloede-Noweck, Jugendhilfesprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), bedauert, dass so die „soziale Integrationsmaßnahme“ der Ganztagesplätze gerade für ausländische Kinder wegfalle.
Ebenfalls werde Kindern seltener ein besonderer Förderbedarf attestiert, so dass ein Drittel der teuren, da personalaufwändigen Integrationsplätze abgebaut werden könne, gab Röpke zu. 20 Prozent der KTH-Arbeitsstunden werde man so einsparen. Nach Aussagen der GEW entspricht das etwa 100 Arbeitsplätzen.
Grund für die Reduzierung ist nach Auskunft der Senatorin die rückläufige Zahl der Förderanträge. Bei der evangelischen Kirche etwa seien bisher statt 480 (2003) nur 316 Anträge eingegangen. Trotzdem rechne man mit über 1.500 Kindern mit erhöhtem Förderbedarf. Der Bedarf vieler Kinder würde durch Gutachten einfach heruntergestuft, beklagt Gloede-Nowek.
Moskal erzählt: „Unsere Amtsärztin kam vorbei, erklärte, ohne das betroffene Kind gesehen zu haben, dass es den Entwicklungsrückstand aufgeholt habe und Förderung nicht mehr notwendig sei.“ Diese Art von „wundersamer Heilung“ sei mehrfach vorgekommen.
Heinz-Jochen Zenker, Leiter des Gesundheitsamtes und verantwortlich für die Gutachten, bestätigte, man schaue jetzt, mit der finanzpolitischen „Schere im Kopf“, einfach „genauer hin“. Röpke zufolge ist der Rückgang des Förderbedarfs eine Folge geglückter Integrationsarbeit.
Diese „unglaubliche Lesart“ (Gloede-Noweck) nehmen GEW und ver.di heute zum aktuellen Anlass, um auch gegen die Kündigung des BAT-Manteltarifvertrages für die KTH-Belegschaft zu demonstrieren. Ihr soll das Urlaubsgeld gestrichen, das Weihnachtsgeld halbiert und die Arbeitszeit von 38,5 auf 40 Stunden erhöht werden. fis
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