the stars down to earth (2): Der Weg nach innen
Was machen aber nun die Kameras, nachdem sie die Innenräume inspizieren dürfen, die die Maler ihnen seit Jahrhunderten so liebevoll vorgeben und von denen in der letzten Folge dieser Kolumne die Rede war? Nun, erst mal sehen sie Leuten dabei zu, wie sie alles wieder kaputtmachen. Mühsam wurde für Tom Tykwers „The International“ das New Yorker Guggenheim-Museum in Babelsberg nachgebaut.
Dann wird es mitsamt einer bemerkenswerten Julian-Rosenfeldt-Ausstellung, die man gerne mal in der Wirklichkeit sähe, so dermaßen in Klump geschossen, dass alle nur noch so schnell wie möglich rauswollen. In Sebastian Schippers Wahlverwandtschaften-Paraphrase „Mitte Ende August“ entwickelt Milan Peschel, nachdem er gemeinsam mit seiner Frau ein Haus auf dem Land erworben hat, zunächst gewaltige destruktive Energien. Unbedingt müssen Wände eingerissen, zumindest aber durchbrochen werden. Im Baumarkt hebt Peschel dann mal testweise einen der dafür nötigen Hämmer und spielt dann sehr lustig und komplett übertrieben – so schwer sind die Dinger dann doch nicht –, dass er das Teil nicht einmal tragen kann. Später geht er dann doch recht beherzt zu Werke und sieht das Licht auf der anderen Seite weit früher als wahrscheinlich wäre.
Wenn hier der Mut gewesen wäre, den Zuschauer mal nur 60 Sekunden länger mit der Szene zu behelligen! Aber leider pütschert der Film eher verspielt und selbstverliebt durch seine Frauenzeitschriftenpsychologie, die die Goethe-Frage, warum eigentlich wer wählt, mit wem verwandt zu sein, auf die Frage reduziert, ob Menschen, die gern Fleisch essen, eher zu ihresgleichen passen oder gerade zu Veganern. Dasselbe dann auch mit Menschen, die gern schwimmen, Auto fahren, versus Menschen, die eher wasser- und motorenscheu sind. Alles im üblichen Ostdeutschland: Nicht das Geringste dagegen, dass immer mehr Filmemacher sich an Christian Petzold (und Ulrich Köhler oder Christoph Hochhäusler) orientieren. Aber wisset, deutsche Regisseure! Ihr habt die ostdeutsche Provinz nur von euren Kindern geliehen. Wenn die letzte Mall-Tristesse verfilmt, die letzte Löwenzahn-überwucherte Brache ausgeleuchtet und der letzte brandenburgische Teich von euren Hauptdarstellern durchschwommen wurde, werdet ihr einsehen, dass man gebrauchte Tom-Tykwer-Kulissen nicht essen kann.
Auch in dem japanischen Knaller „Love Exposure“ von Sono Sion, der rasante vier Stunden zwischen burleskem Trash und todernster Tragik hin- und herschaltet, bis dieser Unterschied tatsächlich nachhaltig abgeschafft ist, werden Innenräume zerlegt, bevor man sie erfasst hat. Die natürlich superkräftigen, zarten, aber für Joan Jett schwärmenden Mädchen müssen wiederholt kaputtmachen, was sie kaputtmacht. Nach ca. dreieinhalb Stunden wird in einer Racheorgie das Hauptquartier einer Christensekte vernichtet. Der rächende Held öffnet Tür nach Tür, die immer in neue, komplett weiße Räume führen, in denen weiß gekleidete Sektenirre in irren Positionen sitzen, knien, stehen, essen und ein irre helles Licht noch einmal alles überstrahlt, als gelte es, die Lichtverhältnisse in deutschen Telenovelas zu parodieren. Nur Blut spritzt in die widerliche christliche Weiße, während immer noch eine Tür und noch eine Tür architektonisch unsinnigerweise sich öffnen lassen. Seit die Kameras nach innen dürfen, das verbindet alle genannten Filme, erfinden sie Räume so, dass ihre Fläche größer ist als die Umrisse des Gebäudes.
Nein, „Mental“ von Kazuhiro Soda tut das nicht. Diese Dokumentation über eine ambulante Klinik für psychisch Kranke zeigt mit eleganter Beiläufigkeit, wie lebenswichtig die Gestaltung von Innenräumen (und dazu gehören in Japan bekanntlich Gärten) ist – sowohl für die Stabilität der Kranken, das Management einer ökonomisch prekären Klinik in beengten Räumen, aber auch die Schönheit eines Filmes, der eigentlich nur Kranke ihre Geschichte erzählen lässt und dem es um Schönheit doch eigentlich gar nicht geht.
DIEDRICH DIEDERICHSEN
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