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Firmen hoffen auf Unfähige

Das Verhältnis von Ausbildungsstellen und BewerberInnen ist schlechter als je zuvor. Land, Arbeitsagentur und IHK sind dennoch zuversichtlich: Bis zum Herbst ist jeder Schulabgänger versorgt

von NATALIE WIESMANN

Das NRW-Wirtschaftsministerium ist sicher: „In diesem Jahr bekommt jeder Ausbildungswillige oder -fähige einen Platz“, heißt es dort. Ins selbe Horn bläst die Regionaldirektion der Bundesagentur in NRW: „Der Ausbildungskonsens im Land war Vorbild für die Bundespolitik“, sagt Pressesprecherin Regina Kerwien. Seit Mitte Juni auf Bundesebene der „Nationale Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs“ beschlossen wurde, ist auch hierzulande Optimismus angesagt.

Die von der Regionaldirektion NRW herausgegebenen Zahlen sprechen eine andere Sprache: Ende Juni suchten im Ruhrgebiet 15.228 junge Leute eine Lehrstelle. Für diese standen allerdings nur 6.084 freie Ausbildungsplätze bereit, so wenig wie schon seit 10 Jahren nicht mehr. Allerdings gibt es regionale Unterschiede: Während in Recklinghausen noch jeder zweite Lehrstellen-Anwärter ausgebildet werden kann, kommen in Duisburg auf eine offene Stelle mehr als drei BewerberInnen. In Gelsenkirchen kämpfen vier Jugendliche um einen Ausbildungsplatz.

Trotz der harten Fakten geben sich die meisten Akteure zuversichtlich. „Die Zahlen sind eine Momentaufnahme“, sagt IHK-Sprecher Jürgen Kaiser aus Duisburg, zuständig auch für die Kreise Wesel und Kleve. In seinem Kammerbezirk werde jedem Ausbildungswilligen und -fähigen ein Platz zur Verfügung stehen. Durch einen vom Land finanzierten zweitägigen „Kompetenz-Check“, der an ein Assessment-Center erinnert, sollen Jugendliche zu einem realistischen Berufswunsch finden. Auf der anderen Seite sind verstärkt Job-Akquisiteure unterwegs. Sie wollen vor allem Betriebe von Migranten zum Ausbilden animieren. Und bei denjenigen Jugendlichen, die Ende September noch leer dastünden, würde man „nachvermitteln“.

Auch Ulrich Rieger, DGB-Sekretär für Bildung und Beruf am Niederrhein, glaubt an das regionale Bündnis von Agenturen, Unternehmen, Kammern und Gewerkschaften. Er setzt auf die neu eingeführte Verbundausbildung: Betriebe sollen kooperieren und mit anderen eine gemeinsame Ausbildung anbieten. Allerdings gibt der Gewerkschafter zu, dass für eine freie Wahl des Berufes nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu wenig Stellen existierten: „Für eine wirkliche Auswahl muss es zwölf Prozent mehr Angebote geben als Bewerber.“

Sein Gewerkschaftskollege aus Bielefeld ist pessimistisch: „Wenn die Betriebe nur freiwillig ausbilden müssen, wird die Sache nicht aufgehen“, sagt Werner Kellas. Ostwestfalen hat wie das westliche Ruhrgebiet besondere Probleme auf dem Ausbildungsmarkt. „Die Agenturen werden versuchen, im Herbst Leute herauszusieben, die dann als nicht ausbildungswillig erklärt werden“, prophezeit der Gewerkschaftssekretär. Auf diese Weise ließe sich wunderbar die Statistik schönen. Auch der so genannte Kompetenz-Check könne sich als Falle erweisen: Auf der Landesebene sei die Teilnahme freiwillig. „Aber wer nicht hinkommt, wird als ausbildungsunwillig abgestempelt.“ Nur die ursprünglich geplante Ausbildungsplatzabgabe sei geeignet, neue Lehrstellen zu schaffen.

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