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Auf Krieg folgt Lagerkoller

Die Unterbringung in der Landesaufnahmestelle Bramsche mache sie „krank“, beklagen Asylsuchende aus Tschetschenien

„In der Schweiz bringen sie die Asylanten in Bunkern unter, bis sie abgeschoben werden“

aus Bramsche-Hesepe Kai Schöneberg

Ihr Land ist in Bedrängnis, viele sprechen vom „Staatsterror“ der russischen Regierung gegen die abtrünnige Teilrepublik. Seit neun Jahren tobt hier ein blutiger Krieg, der von dem kleinen Land im Kaukasus nicht viel mehr als Tod und Trümmer hinterlassen hat. Und dennoch stehen an diesem Morgen in der Landesaufnahmestelle in Bramsche etwa 20 Tschetschenen in einem Zimmer im Haus 2 und gestikulieren aufgebracht. „Wir dachten, die Deutschen sind hilfsbereit und höflich“, sagt ein älterer Mann. „Es fehlen nur noch die Maschinengewehre am Stacheldraht, dann ist es perfekt“, wettert ein anderer. „Wir können die Kleinen wegen der Drogenabhängigen und Trinker nicht nach draußen lassen“, ärgert sich eine Mutter. Dann hält sie voller Abscheu drei verfaulte Birnen in die Luft: „Unsere Kinder können das nicht essen. Hier ist es schlimmer als zu Hause!“

Eine Resopal-Schrankwand, zwei alte Schlafcouchen, zwei rostende Feldbetten, eine Neonlampe an der Decke, ein Disney-Puzzle mit Cinderella und den sieben Zwergen an der Wand, aber auch ein neuer Kühlschrank. Das und knapp 20 Quadratmeter Lebensraum stellt Deutschland einer vierköpfigen Flüchtlingsfamilie in Bramsche bei Osnabrück zur Verfügung. Das ehemalige Grenzdurchgangslager Friedland hat in den 15 Jahren seines Bestehens bereits 600.000 Spätaussiedler, DDR-Bürger und Flüchtlinge aus aller Welt aufgenommen. Seit April ist Bramsche nur noch „Landesaufnahmestelle“ für Asylsuchende.

540 aus fast 30 Nationen leben derzeit hier in zwei- oder dreistöckigen Bungalows mit Gemeinschaftswaschräumen, viele warten monatelang auf die Entscheidung der Gerichte. Es gibt Bäume, Spielplätze, eine Krankenstation. Das weitläufige Gelände könnte auch ein Landschulheim sein. Alles ist recht sauber. Das ist aber offenbar auch schon alles.

„Wie sagen unsere Kritiker?“, fragt Conrad Bramm, weil er die Antwort nur zu genau weiß: „Wir sind der größte Abschiebeknast Europas“, antwortet der Chef der Landesaufnahmestelle, der den Namen „Lagerleiter“ nicht gerne hört. Natürlich seien er und seine 100 Mitarbeiter „kein Animationsteam“, meint Bramm. Aber immerhin gebe es Videoabende, Computer- oder Deutschkurse, sogar Ausflüge ins Schwimmbad. Von Lagerkoller keine Rede. Die „Kunden“ könnten kommen und gehen, wann sie wollten, sagt Bramm. Und: „In der Schweiz bringen sie die Asylanten in Bunkern unter, bis sie abgeschoben werden.“ Die Niedersachsen verfolgten „genau den entgegengesetzten Ansatz“.

So war Bramm „völlig überrascht“, als er kürzlich einen Offenen Brief von 38 Tschetschenen bekam, die sich bitterlich über die Unterbringung beschweren. Bramsche erinnere „an ein Gefängnis“. Die Atmosphäre im Lager führe „öfter zu nervlichen Ausbrüchen, die wir nicht kontrollieren können“, hatten die Flüchtlinge geschrieben. Das Essen sei „armselig und wiederholt sich von Tag zu Tag, was auch zur Ausrastung führt“.

Der Niedersächsische Flüchtlingsrat nahm den Brief „zum Anlass, erneut die sofortige Schließung des Lagers“ zu fordern. Bramsche mache „krank“, gerade für vom Krieg Traumatisierte sei es hier „unzumutbar“. Eine dezentrale Unterbringung in den Kommunen, so der Flüchtlingsrat, sei „nicht nur menschlicher, sondern auch viel billiger“.

„Bramsche ist der inoffizielle Modellversuch für die Zukunft des Asyls in Deutschland“, sagt Hildegard Winkler von „Avanti“, einem der Vereine, die sich seit Jahren vor Ort um die Flüchtlinge kümmern. Die Klagen der Tschetschenen seien nur „exemplarisch“ für die „menschenunwürdigen“ Bedingungen in Bramsche, meint Winkler.

Dass die Landesregierung betont, hier würden nur diejenigen untergebracht, „deren Asylverfahren ohne Bleibeperspektive“ ist, ärgert sie besonders: „Die Verfahren laufen doch noch.“ Gerade habe das UN-Flüchtlingskommissariat wieder einen Bericht vorgelegt, nach dem den Tschetschenen in Russland „schlimmste Repressalien drohen“, sagt Winkler. Dennoch schiebe die Bundesrepublik ohne Beachtung individueller Gründe ab.

Besonders perfide seien die „Beratungsteams“ in Bramsche, die die Flüchtlinge zur „freiwilligen“ Ausreise bewegen sollten. „Da wird mit Druck gearbeitet“, betont Winkler. Renitenten werde mit Streichung der Sozialleistungen gedroht. Zurzeit erhalten die Flüchtlinge ein „Taschengeld“ von 40 Euro im Monat. Einer Gruppe Tschetschenen, die geschlossen bei der Ausländerbehörde um eine andere Unterbringung bat, sei beschieden worden, sie könnten ja ausreisen, wenn es ihnen im Lager nicht gefalle.

„Die Aufgabe von Positionen ist immer schmerzhaft“, sagt dazu Herbert Jelit aus dem Innenministerium in Hannover und meint damit, dass die Kriegsflüchtlinge endlich ihre „Position“ aufgeben sollen, in Deutschland eine Zufluchtsstätte finden zu können. Die „Verärgerung der Menschen“ ist für ihn „nachvollziehbar“. Man betreibe „die Einrichtung ja nicht, um die Menschen zu quälen“.

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