: Der den Bogen raushat
Der Cellist und Arrangeur Larry Gold war in den Sixties einer der Erfinder des orchestralen Philly-Souls. Der aktuelle Boom der neuen Philadelphia-Szene bescherte auch ihm nun ein kleines Comeback
von HARALD FRICKE
Er hat schütteres, graues Haar, das im Nacken zu einem dünnen Zopf verknotet ist. Er trägt ausgeblichene Jeans und schwarze Sweat-Shirts. Larry Gold sieht nicht unbedingt aus, wie man sich den Godfather des Philly-Soul vorstellen würde: Er ist ein weißer, 55 Jahre alter Mittelschichtsmann, der die meiste Zeit mit müden Augen in einem unscheinbaren Studio sitzt, vor sich ein überdimensionales Mischpult.
Erst beim Blick auf die Goldenen Schallplatten an den holzvertäfelten Wänden wird klar, was für ein Hitmonster der Songwriter, Cellist und Arrangeur ist: Für „The boy is mine“ von Brandy & Monica hat er die Streicher geschrieben, er hat mit Jennifer Lopez an „If you had my love“ gearbeitet. Durch seine Produktionen für Erykah Badu, Jill Scott, The Roots oder Common ist Musik aus Philadelphia seit drei, vier Jahren zurück an der Spitze der US-Charts. In der Branche sagt man, er hätte den „Midas Touch“: Was Larry anfasst, wird zu Gold.
Diese Formel gilt bereits seit Ende der Sixties. Damals hatte Gold sein Engagement beim klassischen Philadelphia Orchestra aufgegeben und war in Zeiten von Woodstock Hasch rauchend als Sessionmusiker durch die Rockszene gezogen. Doch die wahre Begeisterung kam bei ihm erst mit den beiden Komponisten Kenny Gamble und Leon Huff: Gemeinsam entwickelten sie einen Big-Band-Sound, der üppiger mit Streichern ausgestattet war als jede Motown-Schnulze, dabei aber auch viel hymnischer und geradliniger als der Funk aus dem Süden.
Ohne sozialkrittelnde Texte wie etwa bei Curtis Mayfield und anderen Chicago-Acts, ohne die psychedelischen Eskapaden der Westküste wurde Soul aus Philadelphia in den Siebzigerjahren zur Tanzmusik für die Mitte Amerikas. Als Lehre aus den Rassenunruhen galt ein unbedingter Wille zur Integration: Unter dem Namen MFSB („Mother Father Brother Sister“) arbeitete ein 28-köpfiges Orchester aus schwarzen und weißen Musikern, in dem – quer durch sämtliche Altersgruppen, vom langhaarigen Hippie an der Orgel über halbwüchsige Drummer aus dem Ghetto bis zum gestandenen Jazz-Geiger italienischer Abstammung – so ziemlich jede Community mit an Bord war.
MFSB machten Erkennungsmelodien für populäre Sportshows im Fernsehen, überhaupt schrieben sie sich Einigkeit, Teamgeist und Gewaltfreiheit auf die Fahnen. Nicht von ungefähr hieß einer ihrer größten Erfolge „Love is the message“. Und nicht von ungefähr auch wurde der Sound of Philadelphia zum Blueprint für Disco, womit für einen erheblichen Teil der 60er-Soul-Größen die Karriere zu Ende ging. Schließlich war man mit Philly-Soul rundum versorgt: Zu den Jacksons konnte man tanzen, zu Lou Rawls konnte man abwaschen, und zu Billy Pauls knödelndem „Me & Mrs. Jones“-Bariton wurde Liebe gemacht wie sonst nur bei Barry White.
Als kulturelles Hochglanzprodukt und gesellschaftlicher Spiegel zugleich richtete sich Philly-Soul an urbane Zielgruppen, an Aufsteiger um die dreißig, die sich eher über Liberalität und Wohlstand als über Race oder Riots definierten und die am Ende Jimmy Carter wählten. Ein paar Jahre ging die Freude am Konsens und am Pragmatismus des Lebens gut, die Musik war „universell mitteilsam“, wie es rückblickend der US-Philosoph Richard Shustermann genannt hat; danach kamen trotzdem Ronald Reagan und die Eighties.
Tatsächlich verliert sich die Spur von Larry Gold in dieser Zeit. Erst 1995 tauchte er wieder auf mit einem Studio, in dem seither HipHop- und Nu-Soul-Acts produziert werden. Im Grunde wiederholt sich hier das Konzept der frühen Jahre nach Motown: Auch den Rapstars von heute reichen ein schroffer Beat und ein paar ausgefallene Samples nicht mehr als Unterscheidungmerkmal, wenn es um ihre Selbstbehauptung auf dem Markt geht. Die Signatur kommt mit dem verfeinerten Sound, und sie liegt entsprechend wieder ganz in der Hand des Produzenten – auch wenn oder gerade weil sich die Ergebnisse so oft ähneln. Dann ist Dr. Dre der Mann für grob geschnitzten HipHop, während das Neptunes-Duo die Stücke von Justin Timberlake oder Christina Aguilera rhythmisch der jugendlichen Hippeligkeit anpassen, bis sie sich am Ende perfekt in die vorbeirauschenden Schnittfolgen der Videoclips fügen.
Und Larry Gold? Macht da weiter, wo er Ende der Siebzigerjahre aufgehört hat. Nachdem er für das „MTV Unplugged“-Konzert von Jay-Z mit seinem Cello auf der Bühne saß, ist er von Jazzy Jeff angesprochen worden, ob er nicht selbst mal wieder eine Platte für das DJ-Label BBE einspielen wolle. Gold ist kurz die freien Termine in seinem Filofax durchgegangen, hat mit einem guten Dutzend Sänger und Sängerinnen telefoniert und dann entschieden: Ja, warum nicht!? „Immerhin hört man vielen Musikern aus der jüngeren Generation an, wie stark sie sich mit der Geschichte verbunden fühlen, an der ich in den Seventies selbst mitgewirkt habe.“ Vermutlich hat auch der Boom geholfen, den HipHop aus Philadelphia ausgelöst hat. Plötzlich waren längst vergessen geglaubte Seventies-Tugenden wie „Natürlichkeit“ oder „Gefühl“, all die Innerlichkeitslyrics und der Seelenschmus wieder absolut modern.
Insofern ist die jetzt erschienene CD „Larry Gold presents Don Cello and Friends“ eine Bimmelbahnreise durch den Themenpark des Philly-Soul, doch auf der Tour sind eine Menge Helden der Gegenwart dabei: Mit Black Thought, dem Frontrapper der Roots, hat Gold ein orchestral flirrendes Remake des Tanzflächenstompers „Ain’t no stopping us now“ aufgenommen, das elastisch unter der Discokugel schwingt, als hätten die starren Beats und Loops von House oder Street-Soul dort nie wirklich Fuß gefasst. Auch ein Song wie „Dance“, zu dem ein Oldschooler wie Gerald Levert sich durch das Nachtleben schmachtet, verbreitet bei aller Hi-Energy-Brünftigkeit den plüschigen Glanz eines Siebzigerjahre-Clubs.
Stets findet Gold eine Streicherminiatur oder eine elegant gewendete Tonart im Refrain, die seine Tracks über den formelhaften R ’n’ B heben, der momentan zwei Drittel der amerikanischen Hitlisten zubetoniert. Schon deshalb wäre Larry noch das eine Gold mehr zu wünschen.
„Larry Gold presents Don Cello and Friends“ (BBE/K7)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen