: Mediales Neuland
Neue Inseln braucht das Land. Vor allem, wenn die alten vor Touristen überlaufen. So entstand die „neue Insel“ Kachelotplate. Eine Polemik
von Thomas Schumacher
Die Inseln wanken, die Küste bricht: 13 Millionen Übernachtungen allein an Ostfrieslands Nordsee sind einfach zu viel. Da „enthüllt“ ein Oldenburger Wissenschaftler, die Nordsee trotze aller Verseuchung durch ultimative Selbstheilungskräfte. Aber das reicht nicht. Wie sollte man der derzeitigen Vermüllung und Überstrapazierung der Inseln und Küsten auch anders begegnen als mit der Endeckung neuen Landes? Also basteln wir uns eine neue Insel. Seit Juli 2003 feiern wir die Geburt der Kachelotplate neben dem ostfriesischen Juist.
Wir schreiben den 19. August 1976. Der Niederländer Hendrik Toxopeus rammt stolz einen angeschwemmten Stock in den Strand der damals schon kartierten Kachelotplate. In Eroberermanier will er Besitz nehmen vom heißen Eiland. Doch Hendrik I. rechnet nicht mit den mutigen Ostfriesen. Wütend naht vom Flutsaum der Emder Eilert Voß, bereit zu verteidigen das Wind umtoste Stück Heimat. Der Segler und Fotograf droht dem Eroberer mit seinem Weitwinkelobjektiv – doch noch vor blutigem Kampfe werden auf einsamem ostfriesischen Sande Fremde zu Freunden bei einem Bier. „Sage allen, wir hätten uns tapfer geschlagen“, lallt Hendrik, und lässt sich von Eilert zum Beweis neben einer angeschwemmten toten Kuh ablichten. So singen es die Ahnen noch heute.
Frank Thorenz, Leiter des Niedersächsischen Landesamtes für Wasserwirtschaft und Küstenschutz (NLWK), wollte sich nicht immer nur fühlen wie Thors Hammer, den er gegen die Natur schmettert. Hatte er nicht gerade mit dem Emssperrwerk einen ganzen Fluss aufgehalten und gestaut, damit Schiffe der Papenburger Meyer-Werft durch die ansonsten zu flache Ems aus dem Binnenland an die Küste gefädelt werden können? Was nicht passt, wird passend gemacht, was Natur ist, bestimme ich, beschloss Thorenz. (Und was keine Natur zu sein hat, leider auch, denkt der bescheidene Schützer von Säbelschnäbler, Knutt, Rotschenkel und anderen bedrohten Mehrheiten.)
So setzte Thorenz die Mär von der neuen Insel „Kachelotplate“ in die Welt (Kachelot = cacholte = Pottwal; Plate = Sandbank). Wenn wir schon keine Naturflächen mehr an der Küste haben, dann erfinden wir uns eben welche, dachte Thorenz. Kaum stopften die Medien mit dieser Meldung das Sommerloch, da rauschten auch schon die ersten Leichtmetallflugzeuge im Tiefflug über den Sand. Segler rammten auf den Strand und zupften unter „Oh“ und „Ah“ streng geschützte Pflanzen. Speedboote schossen um die Insel, trunken vor Jagdfieber auf flüchtende Seehunde. Juister, in welcher Art der Umnachtung auch immer, hissten die Fahne und nannten die Kachelotplate fortan „Lütje Juist“.
Doch bald wirft sich der WWF in die letzte Lücke des Sommerlochs. Die Wildlife-Freunde, die an der Küste jedes Sandkorn persönlich kennen, erklärten uns, woher die Sande des Kachelot eigentlich stammen und forderten Schutz für das so genannte „Neuland“, dessen Bauwert die Oldenburgische Landesbank schon auf 300 Euro pro Quadratmeter taxiert. Eine Frau vom Juister Reisebüro schwärmt von Edelboutiquen, Discos und schicken Restaurants auf der Plate. Dagmar Kiesendahl: „Wir wollen mehr junge, wohlhabende Touristen“. Merke: Auch hier will man Ältere nicht mehr haben, die galten bis dato als die umworbene Zielgruppe der Tourismusindustrie.
War da noch was? Ach, ja, Kachelotplate, seit langem bekannt, ist auch nach aufgeweichtem Naturschutz vor zwei Jahren in das Nationalparkgesetz übernommen als Zone I/13. Das ist streng geschützte Ruhezone. Betretensverbot. Ganzjährig. „Kontrolliert werden kann das nicht“, meint der Wattenrat vor Ort. Es gibt so gut wie keine Ranger, die über die Einhaltung des Gesetzes wachen. Na, da freut sich der Herr Thorenz.
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