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Space-Center: Arbeit nur kinderlos mit Kurzhaarschnitt

Hunderte von Sozialhilfeempfängern stehen bei der Bremer Arbeit GmbH Schlange um Infos über die Space-Center-Jobs – auf Order des Sozialamts. Viele aber ziehen enttäuscht wieder ab. Mit Kindern, langen Haaren oder Eintrag im Führungszeugnis nämlich sind sie „nicht geeignet“

Bremen taz ■ Die Ersten, die das Haus gegen den Strom wieder verließen, winkten den Wartenden schon ab. Kein Platz mehr im Saal – „kannst wieder nach Hause gehen.“ 500 SozialhilfeempfängerInnen hatte das Amt für Soziale Dienste (AfSD) aufgefordert, sich gestern Morgen um neun Uhr bei der Bremer Arbeit GmbH (bag) in der Langenstraße einzufinden – zur Information über die Arbeitsplätze, die demnächst im Gröpelinger Space-Center entstehen sollen. Erscheinen war Pflicht. Andernfalls, so drohte die Behörde unverholen, „wären wir gezwungen, die Kürzung Ihrer Sozialhilfe zu prüfen.“ Lange Schlangen hätte es auch ohne diesen Hinweis gegeben. „Ich will doch arbeiten“, ruft ein junger Mann dem frustriert Davonlaufenden hinterher: „Da geh’ ich doch nicht nach Hause.“

Also warten sie: Alte und Junge, Männer wie Frauen, die einen rausgeputzt und frisch gebügelt, die anderen mit Zigarette in der Zahnlücke. Einige haben ihre Kinder mitgebracht, andere extra einen Babysitter organisiert, um sich den Vortrag über die Anforderungen an Space-Park-Küchenhilfen, -Reinigungskräften, -Sicherheitspersonal und Service-MitarbeiterInnen anzuhören. Weil nur 70 Leute in den Saal passen, wird der Rest mit bunten Zettelchen vertröstet – auf zehn, elf oder zwölf Uhr. „Sollen wir uns hier denn anstellen wie die Bettler?“, erbost sich eine Frau – und wartet trotzdem.

Drinnen geht derweil ein Raunen durch den Saal. Männer mit langen Haaren oder einem nicht ganz akkurat gestutzten Bart, erklären die bag-MitarbeiterInnen, brauchen sich um einen Job im Raumfahrt-Erlebnispark erst gar nicht bewerben. Tabu sind auch offen sichtbare Tattoos, Piercings und große Ohrringe. Um eine der 500 in Aussicht gestellten Stellen zu erhalten, ist zudem ein tadelloses Führungszeugnis vonnöten – chancenlos also, wer mal geklaut hat.

Vor allem aber die Arbeitszeiten schrecken. „Voll- und Teilzeitarbeitsplätze“ hatte das Amt in seinem Brief angekündigt. Jetzt folgt aus dem Mund der bag-MitarbeiterInnen die zweite Hälfte der Wahrheit: „Schichtarbeit, Feiertags- und Wochenenddienst“. Ob es denn eine Kinderbetreuung gäbe, will eine Mutter wissen. Gibt es nicht. Die Mehrzahl der Alleinerziehenden verlässt darauf den Saal. „Wir mussten nur antanzen, damit das Sozialamt sagen kann, sie hätten was unternommen“, schimpft eine Mutter draußen.

Die bag indes weist derlei Vorwürfe zurück. Verantwortlich für die Einladungsschreiben seien die dem AfSD unterstellten Sozialzentren. Eine allein erziehende Mutter mit kleinen Kindern zum Infotermin zu zitieren, wo doch das Space-Center keinerlei Kinderbetreuung in Aussicht gestellt habe, sei „nicht so geschickt“, drückt sich bag-Bereichsleiterin Elfriede Dieke aus. Vom AfSD war gestern keine Stellungnahme zu erhalten.

Die bag-Bilanz nach drei von vier Massen-Screenings: Von 1.100 einbestellten SozialhilfeempfängerInnen kamen 800 zum Info-Vortrag, 600 wollten gar noch ein Einzelgespräch. Etwa 400 davon dürfen sich mit Empfehlung der bag beim Space-Center selbst gegen Hunderte von weiteren Konkurrenten behaupten. Die bag-Empfehlung, mutmaßt eine Frau, „nützt dabei doch gar nichts.“ Armin Simon

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