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SCB Viktoria: kölscher Fußballmeister der Herzen

Abstieg in die Verbandsliga, Geldsorgen, Ärger mit dem Finanzamt und der Staatsanwaltschaft: Der 1904 gegründete rechtsrheinische Kickerklub feiert einen traurigen 100. Geburtstag. Aber immerhin hat er Hubert Heiberg – und die Hoffnung auf die eigene Jugend und eine bessere Zukunft

von Franco Hollmann

Hubert Heiberg ist das, was man gemeinhin ein Urgestein nennt. Seit seiner Jugend, also inzwischen seit rund 50 Jahren, besitzt der heute 61-jährige Pensionär einen Mitgliederausweis von Viktoria Köln.

Heiberg ist der beste Beweis, dass Tradition bei einem Fußballklub zwar keine Tore schießt, aber in schwierigen Zeiten für den nötigen Zusammenhalt sorgt. „Ich helfe jeden Tag auf der Stadionanlage ein bisschen aus und halte ein wenig die Geschäfte zusammen“, lacht der frühere Abteilungsleiter einer Druckerei. Neben Heiberg kümmert sich eine Gruppe aus pensionierten Handwerkern um Tribünenpflege und Klubheimrenovierung. Ehemalige Spielerfrauen verkaufen an den sonntäglichen Heimspielen frisch gebrühten Kaffee und selbst gebackenen Kuchen.

„Wir sind ein richtiger Familienverein geworden“, freut sich Präsident Winfried Pütz über das Engagement der treuen Anhänger. Auf die ist der SCB Viktoria Köln an seinem 100. Geburtstag auch dringend angewiesen.

Denn der Klub hat Probleme, große Probleme: Durch eine 1:2-Niederlage bei Schwarz-Weiß Essen am letzen Spieltag der vergangenen Saison ist Kölns ältester Fußballverein nun bereits zum zweiten Mal nach 1997 von der Oberliga in die Fünftklassigkeit abgestürzt.

Hinzu kommen große finanzielle Schwierigkeiten und Ärger mit dem Finanzamt. Außerdem nicht gerade imagefördernd: die vor etwa zwei Jahren eingeleiteten Ermittlungen unter anderem gegen Vereinsboss Pütz wegen des unschönen Verdachts, Unternehmen könnten bei der Vergabe von Aufträgen von den städtischen Wohnungsbaugesellschaften GAG und Grubo bevorzugt worden sein, wenn sie eine großzügige Spende an die Viktoria springen ließen.

Und dann wird in der kommenden Saison auch noch ein langjähriger wie prominenter SCB-Spieler fehlen: Jens Rehhagel. Der Sohn des Europameister-Machers und neuen griechischen Nationalhelden Otto Rehagel hat sich abgemeldet, um sich auf seine Doktorarbeit zu konzentrieren. Harte Zeiten für die Rechtsrheinischen.

Im Schatten der linksrheinischen Clubs 1. FC und Fortuna Köln stehend, war Viktoria schon immer der „Meister der Herzen“ des kölschen Fußballs: Zwar konnte der Verein in seiner langen Geschichte einige Erfolge feiern – den ganz großen Wurf allerdings verpasste er stets.

Am 29. Juli 1904 riefen rechtsrheinische Fußballfreunde zunächst den FC Germania Kalk ins Leben. Nach mehreren Fusionen Kalker und Mülheimer Klubs entstand daraus 1911 der VfR Köln 04 rrh. 1926 nahm der Stadtteilklub als Westdeutscher Meister an der Endrunde zur Deutschen Meisterschaft teil und konnte sich in der Gesamtbilanz sogar vor dem FC Bayern München platzieren.

Ab 1947 nannte sich der Verein dann SC Rapid Köln. Zehn Jahre später verbrüderte man sich mit den legendären Preußen aus Dellbrück, die 1950 das Halbfinale der Deutschen Meisterschaft erreichten, zum SC Viktoria Köln. Mit einer neuen Spielstätte an der Merheimer Heide und Hennes Weisweiler als neuem Trainer hoffte der Klub in der Oberliga West an ruhmreiche Zeiten anzuknüpfen. Doch seine großen Erfolge erzielte Weisweiler erst nach seiner Zeit bei Viktoria: mit Mönchengladbach und dem übermächtigen Lokalrivalen 1. FC. Mit dem Tod des damaligen Präsidenten Heinrich Kierdorf im November 1962 endeten auch dessen gute Kontakte zum Deutschen Fußball-Bund – und zerschlug sich die Hoffnung auf eine Mitgliedschaft in der neu gegründeten Bundesliga.

Bis 1974 kickte die Viktoria in der zweitklassigen Regionalliga West, verpasste dann jedoch die Qualifikation für die neue eingleisige Zweite Bundesliga. Nunmehr erstmals drittklassig, sorgte der Klub von der „Schäl Sick“ Mitte der 70er Jahre bundesweit für einen Paukenschlag. Mit einem sensationellen 2:1-Sieg bei Eintracht Braunschweig in der dritten Runde des DFB-Pokals schaffte er den ersten Sieg eines Amateurklubs über einen Bundesligisten. Das Aus kam dann im anschließenden Achtelfinale gegen Borussia Dortmund.

Noch mal zwischen 1978 und 1981 kurzzeitig zweitklassig, stand der Verein dann im Sommer 1994 erstmalig vor dem Konkurs. Auch fußballerisch darbend, fusionierte er mit dem kleinen, aber sportlich erfolgreicheren Nachbarn SC Brück zum SCB Preußen. Doch auch die 2003 erfolgte Rückbenennung in SCB Viktoria Köln brachte nicht die erhoffte Rückkehr in den bezahlten Fußball.

Nun steht der Verein in der Verbandsliga wieder vor einem Neuanfang. Tiefer darf der rechtsrheinische Klub, dem andere Vorortklubs wie Yurdumspor und FC Junkersdorf inzwischen den Rang abgelaufen haben, in der Ligahierarchie nicht mehr fallen. „Unterhalb der Verbandsliga würde den Jugendlichen die Identifikation fehlen“, warnt Präsident Pütz.

Gegenwärtig spielen in 20 Jugendmannschaften rund 400 Jugendliche. Zumeist kommen sie aus den umliegenden Stadtteilen in Vingst, Ostheim oder Kalk. Die Erfolge der SCB-Jugendarbeit können sich durchaus sehen lassen. Immerhin konnte sich die A-Jugend zwei Jahre in der Junioren-Bundesliga behaupten. „Die Jugendlichen sind unglaublich stolz, wenn sie das Viktoria-Trikot tragen“, berichtet Pütz.

Und sie sind auch das Pfund, mit dem der Verein in Zukunft wuchern möchte.

Mit einem Konzept, dass laut Pütz schon fertig in der Schublade liegt, sollen sie noch enger an den Verein binden. Durch eine Rundumbetreuung von der Hausaufgabenhilfe bis zur Ausbildungsplatzvermittlung hofft man, eines Tages die Zahl der Jugendmannschaften auf 50 ansteigen zu lassen, um dann „von der Breite an die Spitze“ (Pütz) zu gelangen.

Bis dahin sind es Menschen wie Hubert Heiberg, die der Viktoria mit Tatkraft und gelegentlich auch ein paar Euros unter die Arme greifen. Denn Tradition reicht nicht zum Überleben.

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