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„Blau ist eine Leidenschaft“

Das renovierte Olympiastadion ist mit großem Pomp eingeweiht worden. Das Publikum ist begeistert – und pfeift nur auf Klaus Wowereit. Hertha-Manager Hoeneß verspricht attraktiveren Fußball. Das erste Tor erzielt aber ein Spieler des 1. FC Union

VON DIRK STEINBACH

Ausgerechnet ein Spieler des 1. FC Union Berlin hat Hertha BSC die Freude über die Fertigstellung des Olympiastadions ein wenig verdorben. Martin Hauswald erzielte am Sonntag um 14.12 Uhr im Spiel der Regionalliga Nord bei Herthas Amateuren das erste Tor in der renovierten Arena. Erst in der Nachspielzeit der schwachen Partie konnte Bundesligaprofi Sofian Chahed noch zum 1:1 ausgleichen. Immerhin nicht verloren.

Besser machten es im Anschluss die Hertha-Profis. In einem Freundschaftsspiel gewann der Bundesligist 3:1 (2:0) gegen Besiktas Istanbul. Vor rund 30.000 Fans erzielten der Ungar Pal Dardai (11.), der Pole Artur Wichniarek (34.) und der Brasilianer Marcelinho (86.) die Tore für die Berliner. Für das Gäste-Team von Trainer Vicente del Bosque, früher bei Real Madrid, verwandelte Ahmed Hassan einen Foulelfmeter (72.) zum Anschlusstor.

So blieb das historische Kopfballtor von Hauswald der einzige Schönheitsfehler des Eröffnungs-Wochenendes. Mehr als 100.000 Besucher kamen an zwei Tagen, staunten und feierten. Ausgelassen, aber angenehm unaufgeregt.

„Das Olympiastadion soll für Lebensfreude und Toleranz stehen“, sagte Johannes B. Kerner, der Moderator der Gala am Samstagabend. Als 13-Jähriger hatte er die Autos auf dem Parkplatz P5 eingewiesen. Nun stand Kerner im weißen Anzug auf der futuristischen Bühne in der Mitte des Stadions und erwischte einen für seine Verhältnisse guten Tag. Nur eine kleine Anbiederung an Hertha BSC („Blau ist mehr als eine Farbe. Blau ist eine Leidenschaft.“), ansonsten hielt er sich zurück.

Was nicht für die Zuschauer galt. Von Beginn an bejubelten sie jede Darbietung auf dem Rasen. Einzig Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) kassierte ein gellendes Pfeifkonzert. Ironisch bedankte er sich dafür mit einer kurzen Verbeugung. Getragen von der Euphorie rund um die Eröffnung dachte Wowereit bereits an mögliche große Ereignisse. „Das macht Lust auf Olympia“, sagte er. „Berlin steht bereit für eine erneute Kandidatur.“

Die kühle Antwort von Klaus Steinbach, dem Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), folgte prompt. Eine Bewerbung sei zwar denkbar. „Allerdings muss das auch von den Berlinern gewollt sein.“ Die Anwesenden auf den Tribünen quittierten das mit nur schwachem Applaus. Als wollten sie sagen: „Nicht schon wieder!“ Die schmachvoll gescheiterte Bewerbung für die Spiele 2000 ist in der Hauptstadt nicht vergessen.

Dagegen wird die Feier wohl noch lange in positiver Erinnerung bleiben. Was zu Beginn mit Vorführungen verschiedener Sportvereine noch einem biederen Turnfest ähnelte, steigerte sich zu einer weltoffenen Party. Mit bewegenden Momenten, wie dem Fackellauf der früheren Sportidole Armin Harry, Paul Breitner, dem Sohn des Stadionarchitekten Werner March und der Enkelin von Jesse Owens, dem vierfachen Olympiasieger von 1936. In Einspielfilmen wurde dabei auch an die „finsteren Zeiten“ des Stadions während der Zeit der Nationalsozialisten erinnert. Kurz, aber bestimmt.

Direkt danach tanzten mehrere hundert bunt kostümierte Teilnehmer des Karnevals der Kulturen und des Christopher Street Day auf der blauen Laufbahn – als Zeichen für das neue, offene Berlin. Nur das große Transparent „Hertha Onkelz Berlin“ in altdeutscher Schrift nahe der Ostkurve störte da ein wenig.

Erstmals richtig laut wurde es, als Popsängerin Nena die Bühne betrat. Um gleich wieder von dort zu verschwinden. „Ihr seid so weit weg, ich komme mal zu euch“, sagte sie und fegte fortan wie ein Irrwisch zu ihren 80er-Jahre Hits durch das Stadion. Lediglich mit dem Mitsingen haperte es. „Okay, ihr kennt den Text nicht. Ihr seid zu alt!“, rief sie keck. Beeindruckte Nena durch unglaubliche Energie, faszinierte US-Sängerin Pink im Anschluss mit ihrer Stimme.

Für Popmusik-Fans war ihr Auftritt der Höhepunkt des Abends, für die Anhänger von Hertha BSC war dagegen die Präsentation „ihrer“ Mannschaft der schönste Moment der Gala. Mit stehenden Ovationen feierten sie die Fußballer. Besonders der neue Trainer Falko Götz wurde lautstark und erwartungsfroh begrüßt. Als Hauptnutzer der Arena fand Hertha-Manager Dieter Hoeneß nur Superlative für das Ergebnis des vier Jahre dauernden Umbaus. „Das Stadion ist ein Hammer geworden“, sagte er. „Ein Schmuckkästchen, zu dem es kaum etwas Vergleichbares auf der Welt gibt.“ Dies sei auch eine Verpflichtung für die Spieler. „Ich kann versprechen: So eine Saison wie die vergangene werden wir nicht mehr erleben“, sagte Hoeneß. „Hertha wird wieder attraktiven Fußball spielen.“

Die Fußballstimmung war kaum verklungen, da setzte Stardirigent Daniel Barenboim mit seinem West Eastern Divan Orchester, das junge Musiker aus Israel und verschiedenen Ländern des Nahen Ostens vereint, einen fast besinnlichen Schlusspunkt. Keine Chance für Chauvinismus. Die schönste Botschaft des neuen, alten Stadions.

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