OFF-KINO: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Nach dem Erfolg von Hayao Miyazakis Zeichentrickmeisterwerk „Chihiros Reise ins Zauberland“ lassen sich nun auch einige seiner Filme im Kino bewundern, die es nie regulär in den Verleih geschafft haben: „Tonari no Totoro – Mein Nachbar Totoro“ (1988) und „Majo no Takkyubin – Der Hexen-Spezial-Lieferdienst“ (1989) gehören zu den kindgerechtesten Filmen des Meisters, die auch von starken Mädchen erzählen. „Tonari no Totoro“ ist eine Art heiteres Gegenstück zu „Chihiro“: Auch für die zehnjährige Satsuki und ihre Schwester Mei beginnt die Geschichte mit einem Umzug und der damit verbundenen Aussicht auf neue Erfahrungen. Doch während Chihiro nur schmollend auf dem Rücksitz kauert, schauen Mei und Satsuki mit Begeisterung aus dem Fenster des Lastwagens, der ihr Mobiliar zum neuen Domizil auf dem Land bringt. Der Film erzählt von einem nahezu unbeschwerten Sommer, von überschäumender kindlicher Fantasie und verständnisvollen Eltern sowie von einer Verbundenheit mit der Natur, die stets voller Wunder steckt, jedoch auch bedrohliche Seiten entwickeln kann. Heldin in „Majo no Takkyubin“ ist die kleine Hexe Kiki, die an ihrem 13. Geburtstag mit fröhlicher Zuversicht allein in die Welt hinauszieht und – sie kann ja fliegen – eine Art Paketzustelldienst eröffnet. Natürlich klappt nicht alles so, wie sie es sich vorstellt, doch Kiki beißt sich durch und erlebt Abenteuer und Freundschaften wie jedes andere Mädchen auch. Grundsätzlich, so meint Miyazaki, erlaubten ihm weibliche Hauptfiguren eine größere Vielschichtigkeit in der Zeichnung der Charaktere – Abenteuergeschichten mit männlichen Helden würden viel stärker von eindimensionalen Gut-Böse-Kontrasten leben.
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Ob man Alfred Hitchcocks Mutter wohl gern kennen gelernt hätte? Nach Betrachtung der Filme ihres Filius kommen einem da Zweifel. Denn wie kein anderer Regisseur hat Hitchcock herrschsüchtige Mütter auf der Leinwand präsentiert. Eine der desaströsesten Mutter-Sohn-Beziehungen findet sich in „Notorious“: Nachdem Alicia (Ingrid Bergman) von ihrem Gatten Alex (Claude Rains), einem umtriebigen Nazi, als amerikanische Agentin entlarvt wurde, beichtet er diese für ihn gefährliche Tatsache sehr kleinlaut des Nachts am Bett der Mama (Leopoldine Konstantin). Da glimmt in ihren Augen der Triumph auf, und schon bald ist die Vergiftung der Rivalin beschlossene Sache …
Der Übergang vom Neorealismus zu den opernhaften, in Dekadenz schwelgenden Filmen um den unaufhaltsamen Zerfall von Familienbanden: In epischer Breite schildert Regisseur Luchino Visconti in „Rocco und seine Brüder“ (1960) die Geschichte einer Migrantenfamilie, welche die bittere Erfahrung machen muss, dass die alten Werte in der neuen Heimat, einer norditalienischen Industriestadt, nur wenig zählen. Im Gegenteil: Die brüderliche Liebe des Titelhelden (Alain Delon) zum älteren Bruder Simone (Renato Salvatori), einem kriminellen Rohling, führt geradewegs in die Katastrophe …
LARS PENNING
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